: Dicke Luft in der Herrenrunde
■ Wirtschaftspolitischer Streit zwischen USA und Europa dominiert Weltwirtschaftsgipfel in Denver und verhindert Einigung über Umwelt- und Afrikapolitik. Schlußerklärung verlangt Strukturreformen auch in Deutschland
Denver (rtr/AFP/taz) – Ganz neue Entwicklungen haben den Wirtschaftsgipfel der sieben großen Industrienationen („G7“) geprägt, der gestern im US-amerikanischen Denver zu Ende ging. „Lebhafte“ Beratungen wurden gemeldet, offener Dissens verhinderte gemeinsame Positionen zu mehreren Themen, und in der Abschlußerklärung werden einige Länder namentlich kritisiert. Die Zeit der verbalen Gemeinsamkeiten der Wirtschaftsmächte ist vorbei, die politische Auseinandersetzung rückt in den Vordergrund.
„Einige unserer Länder verzeichnen ein starkes Wirtschaftswachstum und eine steigende Beschäftigung, in anderen ist die Erholung am Arbeitsmarkt nicht befriedigend“, steht im Schlußkommuniqué, und es wird ausgeführt: „Deutschland, Frankreich und Italien stehen gemeinsam vor der Herausforderung, wieder für eine deutliche Zunahme der Beschäftigung zu sorgen.“ Dafür sollen sie den Weg der USA und Großbritanniens gehen: Strukturreformen für Arbeitsmarkt und Sozialsystem, Veränderung der Rolle des Staates. Kritik an den USA und Großbritannien in der Schlußerklärung beschränkt sich auf die Warnung vor höherer Inflation.
Damit hat sich die US-Linie offenbar durchgesetzt. Schon zu Beginn des Gipfels hatte US-Präsident Bill Clinton die prächtige Wirtschaftslage seines Landes gerühmt und zur Nachahmung aufgefordert. Das sorgte offenbar bei anderen Ländern für Verstimmung. „Die Amerikaner sagen andauernd: Guckt mal, wie gut wir sind und wie schlecht ihr seid“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuter ein ungenanntes Delegationsmitglied. Helmut Kohl erklärte, man könne zwar voneinander lernen, aber das Sozialsystem nicht übertragen. Auch EU-Kommissionspräsident Jacques Santer meinte, Europa könne das US-Modell nicht übernehmen.
Offen manifestierte sich der US-europäische Streit in Randthemen. Die USA blockierten klare Ziele zur Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes. Die Europäer lehnten eine US-Initiative zur Förderung privater Investitionen in Afrika ab. Strittig war auch die Nato-Osterweiterung, weil die USA vorerst nur drei neue Mitglieder aufnehmen wollen – weniger als manche Europäer. Bis zum Nato-Gipfel Anfang Juli in Madrid seien noch weitere Gespräche nötig, sagte Bundesaußenminister Klaus Kinkel. Einig war sich die um Rußland erweiterte Gipfelrunde lediglich darüber, den Konfliktparteien in Bosnien mit einer Einschränkung ihrer Hilfe im Falle eines Scheiterns des Dayton-Abkommens zu drohen und der Ukraine 300 Millionen Dollar zur Versiegelung des Katastrophenreaktors von Tschernobyl zu versprechen. D.J. Tagesthema Seite 3,
Bericht Seite 6, Kommentar Seite 10
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