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Offensiv mannorientiert

Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin zeigt die befreiten Sixties- und Sex-Phantasien der Amerikanerin Dorothy Iannone  ■ Von Brigitte Werneburg

Selbst in Berlin fällt auf, daß die Künstlerin Dorothy Iannone feiert, was zuletzt kaum für feiernswert erachtet wird: die Sexualität des Paares, das aus einer Frau und einem Mann besteht. In Amerika, wo Iannone 1933 in Boston geboren wurde, dürfte ihr Werk, das die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst jetzt in einer großen Retrospektive würdigt, glatt durchfallen. Sein Thema ist politisch nicht korrekt.

Genau betrachtet ist das sexuell handelnde Paar noch nie für feiernswert erachtet worden. Der männliche Künstler hätte den für seine Selbstbehauptung offenbar unabdingbaren Standort des Voyeurs aufgeben und sich in seinem männlichen Alter ego selbst im Bild plazieren müssen. Und dann wäre – dank der patriarchalischen Festlegung einer wohlgelittenen weiblichen Sexualität – aus der berühmten Urszene doch nichts Rechtes zu holen gewesen. Das heterosexuelle Paar gab es in der abendländischen Kultur nie anders denn als pornographisches Paar, als das obszöne Paar schlechthin.

Mit einem endlich befreiten weiblichen Körper, einem gleichermaßen befreiten weiblichen Blick und einer neuen freien Sprache glaubte Dorothy Iannone in den sechziger und siebziger Jahren dieses Raster aufbrechen zu können. Tatsächlich sind Iannones Paare, trotz eindeutiger Handlung, weder obszön noch pornographisch. Dagegen sind sie in ihrem lustvollen Tun verführerisch und schön – „Berlin Beauties“, wie ein Buchtitel von 1978 besagt.

Ein naiver Mal- und Collagestil verbindet ihre Paare mit archaischen Vorbildern, der Akt ist in ein flächig-ornamentales Muster abstrahiert, die Körper sind isoliert, ihre Haltung erstarrt, frontal; bunte Bänder umwinden die Gliedmaßen, Perlen schmücken das Haar, und schwere Ketten zieren Hals und Taille. Ob als Gemälde- oder Grafik-Zyklus, als Buchillustration, als Video-Box oder buntbemalte Pappkameraden: Sex als Ritual und magisch-mystischer Gottesdienst, das scheint bekannt – und doch ist eine neue, gänzlich säkulare Absicht der Künstlerin nicht zu übersehen. Iannones Frauen, die immer ein altersloses Porträt ihrer selbst sind, schweigen nicht beim Sex, sie reden; sie sitzen auf dem großen Penis ihres Partners, und auf ihrem Körper steht geschrieben: „I worry only that I cannot take proper care of my new acquisition.“ Und wenn die Frau unter ihrem Liebhaber kniet, stöhnt sie: „Alas, I still cherish slavery.“ Ist sie aber über ihm, dann fährt sie fort, „and domination too“; und schließlich gibt sie bekannt: „The man must also sometimes submit.“

In ihrem Siebdruck-Zyklus „10 Scenes“ (1970) ging es der Künstlerin also um Fragen zu Liebe und Sex zwischen Frau und Mann, die letztlich nur emanzipierte Frauen stellen können. Aber die emanzipierten Frauen mochten sie offenkundig nicht stellen. 1968, als Iannone ihre erotischen Phantasien künstlerisch auszuarbeiten begann, dachte Valerie Solanas an „Couple-busters“, über die sie im SCUM-Manifest schrieb: „Wir werden gemischte Paare (männlich/weiblich) überall aufstöbern und sie auseinandertreiben.“

Doch selbst in Europa, wo Iannone zu diesem Zeitpunkt schon lebte, wurde ihr „Mannorientiertheit“ vorgeworfen. Nicht, daß sie von den Männern für diese Orientierung mit offenen Armen empfangen worden wäre. Im Gegenteil. 1969 lud Harald Szeemann vier Schweizer Künstler in die Kunsthalle Bern ein, die wiederum weitere Freunde mitbrachten. Dieter Roths Gast war seine damalige Lebensgefährtin Dorothy Iannone, deren „Ta(rot)“-Zyklus die Künstlerkollegen glaubten zensieren zu müssen. Den Grund erkennt man in Iannones schwarzweißem Bilderbuchfries „The Story of Bern“ (1970) sofort: Dort tragen der Berner Künstler, der Berner Sammler, der Berner Diplomat und der Berner Kunsthallen-Direktor Szeemann ihre Genitalien einfach außerhalb des Anzugs spazieren.

Der Streit ging um das auffälligste Moment in Iannones Bilderwelt: daß sie nämlich sämtliche ihrer Protagonisten mit einem Geschlechtsteil versieht, egal ob sie nackt sind oder angezogen. Das schockierte die Männer im Anzug. Dabei war es gewiß nicht Iannones Anliegen, den wißbegierigen Blick der Frauen zu thematisieren, die sehen wollen, was der Mann ihnen nun tatsächlich zu bieten hat. Es ging ihr nur darum, die Geschlechtlichkeit beider Parteien, der Frauen und der Männer, zu bezeichnen. Bekanntlich darf es sie aber nur im ersten Fall geben, im zweiten kommt der Staatsanwalt.

Bei Dorothy Iannone kam er jedenfalls oft genug. Von Zensur und vom Streit um Zensur weiß sie im Katalog genug zu erzählen. Doch kann man sich auf den Staatsanwalt wirklich verlassen? Nur so gefragt läßt sich die freiwillige Vorzensur plausibel erklären, die zur Absage von Roth und Iannone führte. Sonst scheuten Künstler den Skandal auch damals nicht. Das Werk der „einzigen echten Fluxusfrau“ (Emmett Williams), das formal eher fluxusfern erscheint, steht somit ziemlich einzigartig da. Tatsächlich könnte man in Dorothy Iannones grafischen Paarungen Vorläufer zu Keith Harings sexuell ebenso expliziten Strichfiguren erkennen. Kurz, die Retrospektive der NGBK zeigt mit ihrem Werk – was man zuletzt nur über wenige Kunst sagen kann – eine echte Überraschung. Daran ändert auch nichts, daß die Künstlerin Ende der achtziger Jahre aus den rauhen Gefilden des Skandals in die milderen der Tradition wechselte. Einer außereuropäischen, genauer gesagt, einer buddhistischen Tradition. Vielleicht, weil dort das Paar weniger geächtet ist als bei uns, setzt sie nun an die Stelle des konträren Geschlechts ein gemeinsames Herz.

Dorothy Iannone: „Love Is Forever, Isn't It?“, bis 13. Juli, NGBK, Berlin. Katalog 27 DM

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