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Schulddebatte in Norwegen

Wie kaum sonst außerhalb Deutschlands beteiligten sich Norweger am Holocaust. Jetzt ist eine Diskussion um Wiedergutmachung entbrannt  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Ein halbes Jahrhundert wurde die Frage verdrängt – heute hat nun auch in Norwegen eine erregte Debatte über die eigene Schuld am Holocaust begonnen. Denn es waren Norweger, die bei der Deportation jüdischer Mitbürger halfen – und deren Eigentum übernahmen.

2.173 Jüdinnen und Juden lebten Anfang 1942 in Norwegen, bevor Flucht und Deportationen das Land „judenfrei“ machten. 767 wurden in deutsche KZs deportiert und dort bis auf 30 vergast. Ob geflüchtet oder dem Massenmord entronnen: als sie nach dem Krieg nach Norwegen zurückkamen, war von ihrem einstigen Eigentum nichts mehr vorhanden. In ihren Häusern wohnten andere, ihre Bankkonten waren leer, die Lebensversicherungen gekündigt, alle Besitztümer verschwunden. Der norwegische Staat, in Gestalt einer speziell eingesetzten „Liquidationsbehörde“, hatte ganze Arbeit geleistet. Meist noch bevor ihre EigentümerInnen in Auschwitz umgekommen waren, hatte sie alles Eigentum versteigert, auf Flohmärkten verkauft oder an Konkurrenten weitergegeben. Der Erlös diente dazu, die Kosten für die Deportationen in die KZs zu decken.

Nach dem Krieg wurde die „Liquidationsbehörde“ schnell in „Rückübereignungsbüro“ umbenannt, mit der Aufgabe, das Eigentum oder einen Schadensersatz zurückzugeben – allen, die handfeste Beweise für ihr einstiges Eigentum vorlegen konnten und die Ausdauer hatten, sich jahre-, teilweise jahrzehntelang mit der Behörde herumzuschlagen. Jegliche Rechtspflicht auf Entschädigung wies Oslo weit von sich. Mit dem, was die Quisling-Regierung im Namen Norwegens während der Nazi-Okkupation gemacht hatte, wollte man nichts zu tun haben.

Dabei gab es in Norwegen eine ausgeprägte Bereitschaft, die Vertreibung und Deportation der jüdischen Bevölkerung zur eigenen Sache zu machen. Norwegische Behörden erstellten Listen über jüdische MitbürgerInnen und bereiteten im stillen alles für die Deportationen Erforderliche vor. Norwegische Polizei verhaftete sie in einer Blitzaktion und frachtete sie auf die Schiffe nach Deutschland. Und norwegische Beamte verwalteten und verscherbelten ihr zurückgelassenes Eigentum. In keinem von Hitler besetzten westeuropäischen Land lag die direkte Verantwortung für den Holocaust der nationalen Judenbevölkerung so eindeutig in den Händen der einheimischen Verwaltung selbst.

Das Schicksal der jüdischen Bevölkerung geriet in Vergessenheit, mehr als 50 Jahre interessierte sich niemand dafür – bis eine Geschichtsstudentin das Thema zu ihrer Examensarbeit machte und der Journalist einer Wirtschaftszeitung, daraufhin neugierig geworden, in den Archiven wühlte. Plötzlich war das jüdische Eigentum wieder auf der Tagesordnung. Der Jüdische Weltkongreß setzte die Regierung in Oslo derart unter Druck, daß im Frühjahr letzten Jahres eine Kommission eingerichtet wurde, die den Verbleib jüdischen Eigentums und mögliche Wiedergutmachung prüfen sollte.

Diese sollte ihren Bericht eigentlich am 16. Juni vorlegen – doch der Termin wurde um eine Woche verschoben, nachdem sich herausgestellt hatte, daß es nicht ein, sondern zwei Dokumente geben werde, die miteinander unvereinbar sind. Die Mehrheit der Kommission lehnt nach wie vor jegliche Zahlungspflicht ab und empfiehlt lediglich aus „Billigkeitsgründen“ die Auszahlung einer Wiedergutmachungssumme von umgerechnet 28 Millionen Mark. Die Minderheitsmeinung läßt durchblicken, daß die Schadensersatzleistungen um ein vielfaches höher sein müßten.

Die Minderheit stellt die Legalität des Handelns der Beamten vor mehr als fünf Jahrzehnten insgesamt in Frage. Diese seien mitschuldig am Holocaust geworden, hätten den ersten Schritt hin zum Massenmord aktiv mit vorbereitet. Es gehe deshalb nicht darum, daß die Staatskasse in Oslo ein paar Millionen auszahle und die Sache damit endgültig als erledigt angesehen werden könne. Es gehe vielmehr um ein kollektives Eingeständnis der damaligen Schuld und eine politische Diskussion, wie diese wiedergutzumachen sei.

Eine „moralische Argumentation“ ist dies für Per-Arne Skogstad, Sprecher des Justizministeriums in Oslo, und eine solche vorzubringen sei nicht Auftrag an die Kommission gewesen, die ausschließlich die ökonomische Seite beurteilen sollte. Die Minderheitsmeinung habe schlicht den Kommissionsauftrag mißverstanden.

„Alle Fakten müssen auf den Tisch“, hatte Ministerpräsident Thorbjörn Jagland dem Jüdischen Weltkongreß im Herbst versprochen. Jetzt muß Oslo klären, was damit gemeint war.

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