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Eine Form des Ungeschicks

■ Von der „Arche“ zur Pommesbude: Eine Ausstellung über den Wohnwagen

Zweierlei Verlangen schlugen in der Brust des Hamburger Schriftstellers Heinrich Hauser: Reisen und dabei zu Hause bleiben. Im Frühjahr 1934 startete er mit seiner Familie zu einer 143tägigen Fahrt durch Deutschland in einem selbstgebauten Gefährt, das er, der menschengeschichtlichen Dimension seiner Mission offenbar bewußt, „Arche“ nannte. Aus seinen Erlebnissen auf der Straße fabrizierte er das Büchlein „Fahrten und Abenteuer im Wohnwagen“, das einen ersten kleinen Boom dieses sonderbaren Aufenthalts in Raum und Zeit auslöste. Selbst Hitler war im Grunde seines Herzens Camper. Bei allem Anti- Amerikanismus, der den Nationalsozialisten opportun war, geriet er angesichts des amerikanischen Lebensstils ins Schwärmen: „Aber eines haben die Amerikaner“, heißt es in den Monologen im Führerhauptquartier, „was uns abgeht, das Gefühl für die Weite und Leere des Raumes. Einmal kommt dieses Gefühl immer zum Durchbruch und läßt sich nicht mehr zurückdrängen.“ In Amerika baute man zu dieser Zeit bereits Wohnwagen, die in Technik und Design deutlich am Flugzeugbau orientiert waren, Kapseln des dromologischen Zeitalters.

An Hitlers Raumgefühl wollte nach dem Krieg niemand erinnert werden. Der Wohnwagenbau orientierte sich unterdessen an Käferfähigkeit, das heißt, die mitzuführende Behausung auf Rädern durfte nicht schwerer sein als 400 Kilogramm, um von einem VW- Käfer fortbewegt werden zu können. Eine Basisqualifikation, die der „Falter“ der westfälischen Karosseriebaufirma Hartmann spielend erfüllte. Bei einer Gesamthöhe von 1,20 Meter und einer Breite von 1,60 Meter sah er zusammengeklappt wie ein profaner Transportanhänger aus. In zwei Minuten, so versprach es die Reklame, ließ er sich zu einem Klein- Bungalow aufklappen. Ganze Scharen von derart mobilisierten Hausfrauen waren nun gefordert, ihre Koch- und Haushaltskünste auf engstem Raum vorzuführen. Frauenforscherinnen wissen vom Trauma solcher Zwangsurlaubisierung zu berichten.

Der deutsche Wirtschaftswundergeist verstand die Campingmobilität durchaus als Errungenschaft der Modernität gegen die heimelige Spießigkeit beengter Wohnzimmerinterieurs. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit Zugkarre aus, und zeigte es demonstrativ: Mit uns zieht die neue Zeit. Etwas komfortabler als der „Falter“ war Austermanns „Knospe“, die ab 1957 in Serie ging. Mittels einer Kurbel konnte man die „Knospe“ in Minutenschnelle von 1,35 Meter Fahrbreite auf stolze Wohnbreite von 2,15 Meter handbeamen.

Ganz im Stil der Zeit war auch der „Piccolo“ der Firma Elektro- Stahlbau, der sowohl als Schlaf- und Gepäckanhänger als auch als Boot verwendet werden konnte. Derlei Mehrzweckwaffen hat der Essayist Michael Rutschky einmal als eine Form des Ungeschicks beschrieben, die nicht selten mit dem Nützlichkeitsgedanken auftritt. So gesehen war der „Piccolo“ das Produkt einer Überdetermination. Er erfüllte die Anforderung der Zeit, praktisch zu sein, gleich doppelt. so wie es damals auch Kofferradios gab, die als Einkaufstaschen verwendet werden konnten. Vor dem Hintergrund der sozialen Mobilität der fünfziger Jahre kam der tatsächlichen Mobilität, der Fortbewegung von hier nach da, eine enorme Bedeutung zu. Nach allem, was man im Krieg erlebt hatte, drückte der Wohnwagen gleichzeitig das Bedürfnis nach Seinsvergessenheit, Aufstieg und Veränderung aus, bedeutete aber auch deren sofortige Zurücknahme. Man blieb am liebsten eben doch daheim. Der Wohnwagen war zuallererst ein Symbol der Unsicherheit.

Soziale Mobilität, die als sichtbares Zeichen auf der Straße rollte, war keineswegs ein Privileg des westdeutschen Wirtschaftswunders. Auch die DDR pflegte ihre bescheidene Wohnwagenkultur. Seit 1938 wurde in Bad Düben das „Dübener Ei“ entwickelt, das zu DDR-Zeiten überaus beliebt und trabbifähig war. Die Ausstellung im Deutschen Technikmuseum (dem ehemaligen Museum für Verkehr und Technik) zeigt rund 20 verschiedene Modelle aus der Nachkriegszeit des Wohnwagenbaus mit Originalzugmaschine, z.B. eine blank polierte BMW- Isetta 600 und gibt zahlreiche Hinweise über Hersteller und Konstruktionsweisen. Der Besuchererfolg dürfte gewiß sein, denn die Karawane zieht immer noch durch die Lande. Im Juli 1996 waren in Deutschland allein 620.000 Caravans zugelassen. Der optische Charme der frühen Jahre ist freilich weitgehend verloren gegangen. Heute rauschen wüsten- und hochlandfähige „Hymer“-Mobile samt Einbauküche über die Autobahnen. Eine echte Alternative zum häuslichen Wohnen aber ist der Wohnwagen in Deutschland nie gewesen, es sei denn für ein paar Aussteiger in den Siebzigern. Heute reüssiert der Wohnwagen mehr und mehr als Pommesbude. Hitler hatte recht. Das amerikanische Gefühl für die Weite des Raumes geht uns ab. Harry Nutt

Trebbiner Straße 9; Di–Fr 9–17.30 Uhr, Sa und So 10–18 Uhr

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