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Funky Hausaufgaben

Albert Gabriel alias Arj Snoek ist 17 Jahre und hat gerade sein erstes House-Album gemacht. Neben der Schule und mit links  ■ Von Jochen Bonz und Thomas Groß

Pfingstsonntag am frühen Abend. Über der Hafenstraße zieht ein Gewitter auf, was das Dutzend junger Erwachsener, die sich im Biergarten des Golden Pudel Club aufhalten, gar nicht freut. Sie sind Mitarbeiter von Ladomat 2000, dem Sublabel des Hamburger Labels L'Age D'Or, das seit ein paar Jahren mit obskurer House Music von sich reden macht. Anläßlich der bevorstehenden zweiundfünfzigsten Veröffentlichung soll eine Party gefeiert werden. Mit Grillen und möglichst ohne Naßwerden.

Nur einen der Anwesenden bringt das Wetter nicht aus der Ruhe: den siebzehnjährigen Albert Gabriel, um dessen Album „Fruit Of The Loop“ es geht. Er sitzt da und spielt mit einem Gerät von etwa doppelter Gameboy- Größe. Auf Nachfrage erklärt er höflich, es handle sich um einen „Roland PMA 5“, einen brandneuen Synthesizer, mit dem man „Stücke editieren“ kann „und dazu die Sounds bekannter Synthesizer zur Verfügung hat“. Das Wunderkind an der Wundermaschine.

Schalten und Walten des Housemanns

Wenn er nicht gerade als Plattenkünstler die Großstadt besucht, wohnt Albert Gabriel bei Köln auf dem Land und geht noch zur Schule. Doch das Land ist auch nicht mehr, was es einmal war, und die Schule vielleicht noch weniger. Alles hängt am Netz. Die meiste Zeit verbringt Gabriel in seinem eierkartongedämpften Heimstudio, in dem alle möglichen Apparaturen – und nicht nur topmoderne – höchst generativ miteinander verbunden sind. Als Schalter und Walter in diesem Reich nennt er sich „Arj Snoek“, was ein Zungenbrecher ist und von ihm „Artschei Snuuk“ ausgesprochen wird. Er habe die Bezeichnung „DJ“ im Namen haben wollen, weil das nun mal so üblich sei – nur eben „ein bißchen abgewandelt“.

Abwandlung – das ist hier überhaupt das Stichwort. Abgewandelt ist Arj Snoeks Outfit, das sich als freundliche Übernahme einiger Streetwear-Elemente in die neueste Unauffälligkeit deuten ließe. Abgewandelt ist seine Philosophie, die „viel mit HipHop zu tun hat“. Abgewandelt ist auch seine Art von House Music: elektronisch aus Vorgefundenem montiert und nicht „selbsterfunden“, wie alle DJ-Musik, aber auch im Rahmen von House selbst eine eigene, in keinem Subgenre aufgehende Mikro-Metamorphose: oft um Stimm-Samples herum drapiert, papierdünn aufeinandergeschichtet, manchmal leicht rumpelnd, jedenfalls nie bretthart und, vor allem, außergewöhnlich sophisticated.

Eine unbedingte, quer zum Klischee jugendlichen Ungestüms liegende Gelassenheit durchströmt die elf Tracks seines gerade erschienenen Debutalbums. Eine Gelassenheit, die klischeehafte Titel wie „Take Me Higher“ als Klischees kenntlich macht (und damit wiederverwendbar) und den enormen Drive, das Ass-kickende Moment des Albums eher als Unterstrom mit sich führt. Ein Stück heißt „Melodic Dreams“, und das muß nicht einmal als Witz gemeint sein. Im Rahmen dessen, was im House-Kontext „Melodie“ heißt, hat Snoek alias Gabriel ein entschiedenes Gespür für die Entfaltung von Kürzeln und Linien. Egal, ob mit Piano-, Bass- oder flächigen Synthiesounds skizziert – nie sind die Figuren eingängig, aber „schön“. Frei modulieren sie vor sich hin.

Disco by Neigung, clever by nature

Möglich gemacht haben es die Eltern, genauer gesagt: Künstlerfreunde der Künstlereltern. Als Albert Gabriel vor zwei Jahren, nachdem ihm Akkordeon und Trompete zu langweilig wurden, sich modernem elektronischem Studioequipment zuwandte, geschah das auf Anregung der Kölner House-Produzenten Whirlpool Productions.

Doch auch hier hat Gabriel tüchtig abgewandelt. Im Gegensatz zu den Spätberufenen von Whirlpool, die bei jeder Gelegenheit die Verantwortung des Musikers für die von ihm gewählte Kultur betonen – und sich entsprechend liebevoll der Einbeziehung von funky Krautrockelementen und anderer Lieblingsmusiken in den großen Disco/House-Pool befleißigen –, scheint es für ihn gar keine Frage mehr zu sein, daß das alles vorhanden ist; daß das Material nach immer neuen Kontexten verlangt, in die man es halt bringt. Einfach so. Ohne großes Rumgezicke. „Postmoderne“ ist hier weniger eine abstrakte Verhandlungsposition als sozialisatorische Grunderfahrung.

Ist Albert Gabriel eines jener „Kinder der Freiheit“, wie Ulrich Beck sie so kleidsam auf den Begriff gebracht hat – „apolitisch“, aber engagiert, individualisiert und technologiefirm, aber mißtrauisch gegenüber dem großen und ganzen? „Fruit Of The Loop“ spiegelt zumindest eine Souveränität im Umgang mit den Traditionen von House Music, die in dieser Selbstverständlichkeit neu ist. Und vielleicht hat das tatsächlich etwas Generationsspezifisches. „Homework“, das Debütalbum des ebenfalls sehr jungen französischen Produzentenduos Daft Punk wurde kürzlich erst ausgiebig als Manifest einer Generation beschrieben. Bei allen Unterschieden im Detail, musikalischen wie ikonographischen, ist Daft Punks „Homework“ doch die eine große Referenz von „Fruit Of The Loop“: Dieselbe Verspieltheit und gewitzte Coolness bei selbstverständlichstem Umgang mit der Technik, mit der zehn Jahre Ältere noch kämpften. Es ist alles superbefreit – und hat doch manchmal einen leichten Geruch von Hausaufgaben.

Nicht Herkunft, sondern Leistung

„Funk, Discofunk“ antwortet Gabriel auf die Frage nach seiner Lieblingsmusik. Bloß Interpretennamen fallen ihm gerade keine ein – sie seien auch „unwichtig“. Wie bei Daft Punk, die hundert und keinen Namen in den Liner Notes ihrer CD aufzählen, ist die Musik von Gabriel/Snoek von einem ganz und gar unbestimmten Begriff von Funkyness durchzogen. Selbst HipHop stellt – Sexismus hin, Ghetto her – kein theoretisch zu bewältigendes Problem dar, es ist einfach das Urerlebnis, die Musikerfahrung ihrer Pubertät. „Deshalb sitzt es ja auch so fest“, sagt Albert Gabriel.

HipHop-Puristen und Sozialstrategen mögen dies als typisch mittelständischen Zugang zu schwarzer Musik geißeln, jemand wie Albert Gabriel bedankt sich für die Errungenschaften der Vorgängergenerationen und der gesamten Musikwelt – und macht dann damit, was ihm gerade so in den Sinn kommt. Eben mal zwei Monate hat er an „Fruit Of The Loop“ gearbeitet. Nachmittags, nach der Schule, mit der er ähnlich umspringt: Wenn der Mathelehrer beispielsweise nun mal blöd ist, dann konzentriert man sich in dem betreffenden Schuljahr eben auf ein anderes Fach. Hausaufgaben? Ja. Vorgegebenes nachahmen? Danke, lieber doch nicht.

Dafür, daß ihm bei soviel Freiheit nicht alles unverbindlich wird, ist HipHop allerdings doch ein gutes Gegenmittel. HipHop ist für Gabriel weit mehr als nur Musik, es ist das soziale Umfeld, in dem er sich bewegt. Auch dort scheinen die Richtungskämpfe ausgekämpft. Sämtliche Protagonisten der deutschen HipHop-Szene betonen, bei ihnen zähle nicht Herkunft, sondern Leistung. Albert Gabriel, der nun weiß Gott nicht so aussieht, wie man sich einen typischen Homie vorstellt, betont die dort von ihm erfahrene Wertschätzung von Kreativität. Sieht er sich denn als B-Boy? „B-Boy nicht, weil ich nicht breake.“ Aber „leben“ würde er HipHop schon: „Auf jeden Fall bin ich mehr HipHop-Mensch, als House- oder Disco-Mensch oder so. HipHop ist für mich ein Lebensgefühl. House irgendwie auch, aber kein ständiges. Ich habe auch nur ab und zu Lust, ein House-Stück zu machen. Aber ein HipHop-Stück könnte ich eigentlich immer machen. So ist das.“

DJs von heute, Producer von morgen

Albert Gabriel hat für die Zukunft vor, eine Ausbildung zum Studiotontechniker zu machen. In der nächsten Zeit will er in die klassische HipHop-Rolle des Producer- DJs schlüpfen und für verschiedene Rapper Beats programmieren. Eine EP, bei der der seit Jahren als Talent gefeierte (und bislang nie recht zum Zug gekommene) MC René mitwirken soll, ist in Arbeit. Vier andere Stücke hat Albert Gabriel bereits unter dem Pseudonym „DJ Chestnut“ beim Kölner Label Groove Attack veröffentlicht.

Auch am Pfingstsonntag in Hamburg ist Albert Gabriel nicht nur in Sachen Schallplatten-Präsentation unterwegs. Gemeinsam mit einem befreundeten Rapper aus Köln war er tagsüber „malen“, wie er sagt (= Graffiti sprayen). Jetzt, am Abend, schart sich um ihn eine junge Posse, die ihn von HipHop-Veranstaltungen kennt und ihn, wie die mittlerweile zahlreich Anwesenden, als talentierten jungen Musiker bewundert.

Er enttäuscht sie nicht, spielt seinen „PMA 5“ und die Stücke von „Fruit Of The Loop“, ergänzt sie mit Samples aus anderen Stücken. Beispielsweise der Daft- Punk-Catch-Phrase „Around the world“. Wie ein alter House-DJ stimmt er dabei die Tracks einmal in der Geschwindigkeit fein aufeinander ab, um sie beim nächsten Übergang scharf zu cutten – wie ein HipHop-DJ. Zur Einstimmung legte er alte Discoplatten auf. Entspannte Stimmung. Wie draußen: Das Gewitter hat sich in der Zwischenzeit entladen. Sommerregen fällt auf die Hafenstraße.

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