: „Das muß sie von den Deutschen haben“
■ Türkische Lesben ecken nicht nur in ihrer Familie an, sondern auch bei deutschen Szeneschwestern
Der Großvater wollte es ganz genau wissen. „Wieso brauchst du ein Auto?“ fragte er die Enkelin, die zu Besuch in der Türkei war. „Schleppst du damit Jungs ab oder Mädchen?“ Der Großmutter wurde das Gespräch zu brisant, sie verließ das Zimmer. Wie die Antwort ausfallen würde, hatte sie ohnehin geahnt.
Ipek, die Enkelin, liebt Frauen. Kurz bevor sie zurückfuhr nach Berlin, sagte der 75jährige Großvater noch: „Es paßt weder zu unserer Kultur noch zu unserer Religion.“ Aber sie sei eben seine Enkelin. „Es ist für die einfacher zu sagen, das hat sie von den Deutschen“, sagt Ipek. „Das ist ein Schutzmechanismus.“ Der Großvater hatte gehört, daß Lesben und Schwule in Deutschland heiraten können. Nein, soweit sei es noch nicht, korrigierte ihn Ipek.
Die 25jährige, die in Deutschland aufgewachsen ist, redete auch mit dem Onkel Klartext: „Ich bin lesbisch.“ Der 38jährige seufzte: „Ich weiß, aber mußt du es auch noch benennen?“ Eine Haltung, die typisch ist. Man weiß es, ahnt es zumindest, aber spricht nicht darüber. Obwohl in den letzten Jahren in der Türkei eine Reihe von Lesben- und Schwulengruppen entstanden sind, die an die Öffentlichkeit gehen. Die türkischen Medien berichten häufiger über Homosexualität oder zeigen schwule Bauchtänzer, etliche berühmte Schlagersänger sind schwul. Alle wissen es, niemand spricht darüber, das Publikum vergöttert sie.
In Deutschland, wenn Ipek bei türkischen Geburtstagsfeiern eingeladen war, hat sie nie eine offen antilesbische Haltung erlebt. Die Sozialpädagogin stammt aus einer liberalen Familie. Ihre Mutter reagierte tolerant auf ihr Coming-out: „Wenn du etwas tust, dann steh' dazu. Sei glücklich damit, denn es ist dein Leben. Ich unterstütze dich nicht darin, aber ich unterdrücke dich auch nicht.“
Ipeks Brüder dachten zuerst, das sei nur eine Phase. Später half ihr der jüngere Bruder, einen Text für eine Broschüre über türkische Lesben zu übersetzen. Sogar Ipeks ältere, religiöse Schwester akzeptiert inzwischen ihre Lebensweise, nachdem sie zuerst gefragt hatte: „Ist das eine Krankheit?“ „Was soll krank sein an der Liebe?“ fragte Ipek zurück.
Die Reaktionen deutscher und türkischer Familien auf das Coming-out der Töchter fallen oft ähnlich aus. Dennoch befürchten viele Migrantinnen, daß sie als offen lesbisch lebende Frauen den Bruch mit der Community ihres Herkunftslandes provozieren. Eine bedrohliche Vorstellung, denn als Migrantinnen haben sie das Gefühl, in der deutschen Gesellschaft gebe es ohnehin „keinen Platz“ für sie.
Auch Ipek fand erst zu ihrer lesbischen Identität, als sie mit 18 ein Jahr lang als Au-pair-Mädchen in Großbritannien lebte. Doch früher oder später merken viele Migrantinnen, daß ihnen etwas fehlt. Sie erleben eine doppelte Ausgrenzung: In der Herkunftscommunity ist für ihr Lesbischsein kein Platz; in der hiesigen Lesbenszene kein Platz für ihre „türkische“ Identität. Kein Wunder also, daß sich das Coming-out nur selten vor den Augen der türkischen oder kurdischen Community abspielt.
Um einen Ort zu schaffen, an dem beide Identitäten gelebt werden können, gründete Ipek 1992 in Berlin eine Gruppe für Lesben aus der Türkei. „Wir sind zusammen ausgegangen, haben zusammen gegessen, diskutiert und gestritten.“ Die Gruppe brach zweieinhalb Jahre später auseinander. Die eine Hälfte wollte politisch aktiv werden und an die Öffentlichkeit treten, die andere Hälfte wollte es bei den privaten Treffen belassen.
In ihrem Freundeskreis bemerkt Ipek, daß sich viele lesbische Migrantinnen aus der Türkei in den letzten Jahren aus der deutschen Lesbenszene zurückgezogen haben. Zwar gibt es enge Freundschaften, doch häufig schlägt türkischen Lesben eine Ignoranz entgegen, die sie auf Distanz gehen läßt. Zwei Rollen werden ihnen zugewiesen: Entweder sind sie das arme Opfer von Rassismus und Unterdrückung, oder sie werden als Exotin wahrgenommen. „Türkische Lesben, das gibt's nicht. Die sind doch islamisch!“ Ginge es danach, dürfte es auch keine lesbischen Katholikinnen geben. Was Ipek und viele ihrer Freundinnen vermissen, ist ein selbstverständlicher Umgang, der die Unterschiede nicht ausblendet, aber auch nicht als trennend spürbar werden läßt.
Da erweist sich die türkische Großmutter als weitaus flexibler. Als Ipek beim nächsten Besuch ihre Freundin mitbrachte, wurde die herzlich empfangen. Und heute verabschiedet sich die Oma oft mit dem Satz: „Grüß mal deine Ehefrau von mir.“ Dorothee Winden
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