: Der Schlechtbezahlte schätzt nur das deutsche Bier
■ Nach dem erwarteten Aus in der EM-Zwischenrunde rechnet der scheidende Bundestrainer Vladislav Lucic mit der Arbeitsmoral der deutschen Basketballer ab
Barcelona (taz) – „Ich stehe mit dem Rücken an der Wand“, sagte Vladislav Lucic sarkastisch, „morgen gehe ich und ich habe Deutschland keine Medaillen gebracht.“ Morgen geht er zwar noch nicht, sondern sitzt auf der Bank, weil bei der EM in Barcelona noch zwei Plazierungsspiele ausstehen, aber ob Rang 9 oder 12 erreicht wird, interessiert den scheidenden Bundestrainer nicht mehr. Gestern zog er ein Fazit, das für den Deutschen Basketball-Bund (DBB), für die meisten Bundesliga-Vereine und, unausgesprochen, besonders für Bayer Leverkusen, keineswegs positiv ausfiel.
„Was hat mir Deutschland gebracht?“ fragt Lucic rhetorisch und antwortet selbst: „Gutes Bier, mehr nicht.“ Für seinen Ruf seien die drei Jahre auf dem Posten des „am schlechtesten bezahlten Nationaltrainers in Europa“ sehr ungünstig gewesen. „Ich hoffe“, so Lucic, „daß man sich noch daran erinnert, was ich früher gemacht habe.“ Früher betreute er unter anderem die jugoslawische Nationalmannschaft und fand dort Strukturen vor, die ganz anders waren als die deutschen.
Daß die Vorbereitungsphase für das Nationalteam viel zu kurz sei und wichtige Spieler oft nicht zur Verfügung stünden, weil sie auf dem College in den USA spielen, hat er des öfteren beklagt. Entscheidend seien jedoch die Defizite in der Ausbildung und vor allem der Arbeitsmoral. In Deutschland verfüge der Verband nur über drei Jugend-Coaches, „so viele hat in Jugoslawien ein einziger Verein“. Deutschland habe ein großes Potential, 80 Millionen Menschen, viele basketballbegeisterte Jugendliche, Streetball. „Aber was kommt danach? Keine Lehrer!“
Ein Jürgen Malbeck sei ein talentierter Center, aber er wisse so viel über Basketball, wie jemand, der seit zwei Monaten spiele. Solche Leute bräuchten Trainer, „die jeden Tag zwei, drei Stunden alleine mit ihnen üben, wie geht linker Lay-up, wie geht rechter Lay-up“. Tim Nees sei vor drei Jahren genauso gut gewesen wie Zeljko Rebraca. Inzwischen sei der Ersatzspieler des deutschen Teams weit hinter dem starken Stammspieler der Jugoslawen zurückgeblieben. Schuld an der Misere sind nach Lucics Meinung die Vereine. „Nees weiß nicht, was Arbeit ist, Wucherer weiß nicht, was Arbeit ist“, wettert er über die beiden Leverkusener. „Alle sagen, die Deutschen haben die besten Arbeiter“, hämt der Bundestrainer. „Nicht im Basketball!“
Fast alle Länder mit starken Nationalteams hätten erfolgreiche Klubs in den Europacups. Aber selbst Alba Berlin, in der Bundesliga konkurrenzlos, rangiere in Europa unter „ferner liefen“. Dennoch: Wenn alle Klubs so arbeiten würden wie Berlin oder auch Bonn, hätte der deutsche Basketball künftig eine Chance. „Warum spielt Bonn mit der schlechtesten Mannschaft der Bundesliga das Finale – und ein großes Finale?“ fragt Lucic extrem rhetorisch. „Alles Arbeit.“ Und natürlich haben die mit Bruno Soce, so wie Alba Berlin mit Svetislav Pesic, einen jugoslawischen Coach. „Die Nationalmannschaft landet bei diesem Turnier genau dort, wo sie hingehört“, lautet die These des Bundestrainers. Wenn man mehr wolle, müsse man jetzt neu starten. Aber Lucic ist skeptisch: „Ich fürchte, es wird weitergehen wie bisher.“ Auch, weil der Serbe nach drei Jahren geht, was Henrik Rödl recht unglücklich findet. „Es ist immer schwierig, sich auf einen ausländischen Coach einzustellen“, sagt der Teamkapitän, „jetzt nach drei Jahren haben wir Lucic viel besser verstanden.“
Lucic, das wurde bei seiner Abschiedstirade deutlich, verfügt weder über die Geduld noch über den Kampfgeist und die Anpassungsfähigkeit seines Landsmannes Pesic, der Deutsch lernte und beharrlich für sein Anliegen kämpfte. „Lucic hat Schwierigkeiten, die Mauern zu akzeptieren, die er überall vorfindet. Pesic haut die Mauern einfach um“, meint Rödl. Daß der Mangel an Temperament etwas über die Qualifikation von Vladislav Lucic aussagt, läßt der Berliner nicht gelten: „Es bedeutet nicht, daß man ein guter Trainer ist, wenn man auf der Bank das Heinzelmännchen macht.“ Sollte Rödl dabei an Pesic gedacht haben, war wohl eher das Rumpelstilzchen gemeint. Matti Lieske
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