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Wider den Mythos vom wildfremden Triebtäter

■ Podiumsdiskussion: Was tun beim sexuellen Mißbrauch von Kindern?

„Es gibt Mädchen, die mußten bis zu siebenmal vom Erlebten erzählen, bis ihnen jemand glaubte.“Susanne Emlein, Sozialpädagogin im Mädchenhaus Hamburg, ist durch ihre Arbeit mit sexuellem Mißbrauch vertraut. Erst nach dieser Tortur, so berichtete sie am Mittwoch abend auf einer „Podiumsdiskussion nur für Frauen“an der Universität Hamburg, fänden sich Menschen, die helfen und Schritte gegen den Täter einleiten.

Emlein kritisierte insbesondere, daß die Mehrzahl der Medien immer noch den Mythos vom wildfremden Triebtäter beschwöre. Dabei ist längst bewiesen, daß die Mehrzahl der Mädchen ihren Peiniger kennt. In 42 Prozent der Fälle, in denen ein Mädchen Opfer sexueller Gewalt wird, stammt der Täter aus der eigenen Familie. Einhelliger Tenor aller Helfersfrauen aus Behörden, Polizei, Justiz oder Therapie war der Wunsch nach mehr Fortbildung über die Folgen der sexuellen Gewalt für Kinder.

Vor allem bei der Polizei sei dies vonnöten. „Lieber zwei Schießübungen weniger und dafür eine Fortbildung mehr“, brachte es eine junge Frau aus dem Publikum auf den Punkt. Nur so könne die notwendige Sensibilisierung in allen Gesellschaftsbereichen vorangebracht werden.

Auch Richter lassen immer wieder das Wissen über die Folgen einer Traumatisierung bei der Vernehmung des Opfers vermissen. Rechtsanwältin Ulrike Horstmann forderte daher für minderjährige Vergewaltigungs- und Mißbrauchsopfer unabhängig von den familiären Einkommensverhältnissen das Recht auf einen staatlich bezahlten und in diesen Fragen kompetenten Anwalt. „Die Mädchen bleiben sonst in der finanziellen Abhängigkeit ihrer Familie, aus der vielleicht sogar der Täter stammt.“Um wiederholte Befragungen der zumeist jungen Opfer zu vermeiden, plädierte sie dafür, Videoaufnahmen bei der Vernehmung grundsätzlich vor Gericht zuzulassen.

Nur „wenn ein Mädchen es schafft, den Eindruck zu vermitteln, daß die Tat wirklich schlimm war“, so Horstmann, komme es auch zu Verurteilungen. Noch immer klafft die Zahl der bekanntgewordenen Mißbrauchsfälle und der Verurteilungen weit auseinander, nur etwa zehn Prozent der Täter wurden bislang abgeurteilt.

Mädchen, die Opfer sexueller Gewalt in der eigenen Familie geworden sind und diese verlassen, erleben oft eine Odyssee. Ein wünschenswerter Ausweg für die zwischen Heimerziehung oder Mädchenhaus hin- und hergeschobenen Opfer wäre nach Emleins Auffassung die vieldiskutierte „Go-Order“. Danach müßte, wie in manchen Bundesstaaten der USA praktiziert, der Täter die Familie verlassen und nicht das Kind. Ob eine solche Regelung überhaupt machbar wäre, ist fraglich. Immerhin sind es oft die Mütter in Täterfamilien, die den sexuellen Mißbrauch ihrer Tochter schweigend erdulden oder nicht wahrhaben wollen und daher wegsehen. Mechtild Klein

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