: Die ewige Schlacht
Sonntag marschieren Nordirlands Protestanten durch katholisches Gebiet. Testfall für den Frieden ■ Aus Portadown Ralf Sotscheck
Wenn die Parade verboten werde, sagt Denis Watson, dann sei es mit dem loyalistischen Waffenstillstand vorbei. Nicht, daß er das begrüßen würde, denn Watson ist ein friedlicher Mensch, wie er betont: Er ist Großmeister der Oranier-Loge von Armagh in Nordirland. Der Orden hat 80.000 Mitglieder und ist nach Wilhelm von Oranien benannt, der am 12. Juli 1690 seinen katholischen Widersacher Jakob II. in der Schlacht am Boyne besiegte und dadurch die protestantische Thronfolge in Großbritannien sicherte.
Alljährlich kleiden sich Nordirlands Protestanten an diesem Tag mit Bowlerhüten und orangenen Schärpen und feiern mit Umzügen und Freudenfeuern, so wie sie auch andere Schlachtentage zelebrieren: Aughrim, Derry ... – die Liste blutiger Auseinandersetzungen ist lang. Mehr als 3.000 Paraden finden jedes Jahr statt, organisiert werden sie vom Oranier-Orden. Manche dieser Triumphzüge führen durch katholische Wohngebiete, und an diesen Stellen ist der Konflikt vorprogrammiert.
Am Sonntag geht es um die Schlacht an der Somme, in der ein nordirisches Bataillon der britischen Armee verheizt wurde. Der Gedenktag ist zum Inbegriff für eine neue Schlacht geworden: The Battle of Drumcree – ein Ortsteil von Portadown, südwestlich von Belfast. Im vorigen Jahr hatten protestantische Extremisten drei Tage lang Nordirland mit Straßensperren aus brennenden Autos lahmgelegt, weil die Oranier nicht die katholische Garvaghy Road in Portadown entlangmarschieren durften. Dann gaben die Politiker nach, die fast ausschließlich protestantische Polizei machte der Parade gewaltsam die Straße frei. Das löste Proteste in den katholischen Vierteln im ganzen Land aus, die Straßenschlachten dauerten mehrere Tage. Die Parade am Sonntag gilt als Testfall für den Rest der protestantischen Marschsaison, die bis Ende August dauert. Die Oranier haben für nächste Woche landesweit Hunderte von Paraden angemeldet: Falls es in Drumcree wieder zum Konflikt kommt, sollen dadurch Polizeikräfte gebunden werden. Die britische Armee in den Kasernen Portadowns ist in Alarmbereitschaft.
Watson meint seine Drohung ernst. Der rundliche Endvierziger mit weißen, schütteren Haaren und seinem grauen Anzug ist Geschäftsmann. „Wir haben das Recht, unsere Parade abzuhalten, wo immer wir wollen“, sagt er. Den Anwohnern gesteht er das Recht zu, dagegen zu protestieren, „aber nicht durch Sperrung der Straße“. Falls die Parade verhindert wird, sieht er schwarz: „Wir sind nur ein Teil der Gleichung. Wir haben keinerlei Kontrolle über die paramilitärischen Organisationen.“
Mit dem Bürgerkomitee der Garvaghy Road redet Watson nicht. „Es wird von der IRA gesteuert“, behauptet er. Die Vermittlungsversuche der britischen Nordirland-Ministerin Mo Mowlam sind vor einer Woche gescheitert. „Wir sollen immer nur nachgeben“, sagt Watson, „aber die Protestanten stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Die Wahlerfolge von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, der bei den britischen Wahlen auf fast 17 Prozent der Stimmen kam, und die demographischen Veränderungen jagen den Protestanten Angst ein. Stellten sie bei der Teilung Irlands 1922 noch eine bequeme Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung, so sind es jetzt nur noch 57 Prozent. Belfast hat zum erstenmal einen katholischen Bürgermeister. „Weil sie das Land verlieren, sind die Straßen ihrer Meinung nach das einzige, was ihnen noch bleibt“, schrieb die Irish Times.
Die protestantische Himmelfahrtskirche, die übermorgen im Blickpunkt stehen wird, liegt auf einem kleinen Hügel an einer Seitenstraße der Garvaghy Road. Die dazugehörige Gemeinde ist nicht sehr wohlhabend. Wo früher die Kirchturmuhr hing, ist nur noch ein grüner Kreis, viele Gräber im Kirchhof sind verwahrlost.
250 Meter hinter der Kirche wächst eine dichte Hecke. Dahinter beginnt das katholische Viertel, Wandparolen fordern die Auflösung der Polizei und lassen die IRA hochleben. Die Garvaghy Road ins Stadtzentrum ist nur 400 Meter lang. Am Ende ist wieder protestantisches Gebiet. Ein Tor in den britischen Farben Blau-Weiß-Rot erinnert an protestantische Siege.
Links von der Garvaghy Road liegt das Gemeindezentrum. An die Wand haben Jugendliche eine weiße Friedenstaube gemalt. „Wir sind eine gewaltfreie Organisation“, sagt Orla, die Schatzmeisterin des Bürgerkomitees. „Wir wollen den Jugendlichen zeigen, daß es auch einen anderen Weg gibt. Es geht um Gleichberechtigung, wir sind Bürger zweiter Klasse. Erst hat man uns aus unseren Häusern in anderen Stadtteilen vertrieben, und jetzt wollen sie auch hier über uns hinwegtrampeln.“
Die Leute vom Bürgerkomitee glauben, daß Mowlam ihre Entscheidung über die Genehmigung der Parade längst getroffen hat. Vorige Woche kamen die britischen Soldaten morgens um sechs und haben verschiedene Straßenstücke ausgemessen. „Für Sichtblenden“, glauben die Anwohner. „Sie werden am Straßenrand fahrbare Metallblenden errichten und die Oranier-Parade wie durch einen Tunnel die Straße entlangziehen lassen.“ Falls das geschehe, so fragt Orla, wie solle sie den Jugendlichen dann erklären, daß man mit Verhandlungen mehr erreiche als mit Gewalt?
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