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„Ich bin noch niemals dort gewesen“

Ein in Hamburg geborener Jugoslawe, der in Bosnien gelebt hat und vor dem Krieg zu seinen Eltern floh, fragt sich, warum er nach Serbien abgeschoben werden soll  ■ Von Lisa Schönemann

Sein Haar ist so schwarz wie das eines Südländers und so grau wie das eines alten Mannes. Alexa Lukic hat heute Geburtstag. Geschenke? Der 28jährige winkt ab. Eine Party komme schon überhaupt nicht in Frage. „Meine Zeit hier ist meist mit Depressionen verbunden und mit Angst, weil ich nicht weiß, was mich erwartet“, sagt der schmächtige Mann, der seit sechs Jahren auf dem Schleudersitz lebt. „Für die Serben bin ich ein Deserteur und für die Kroaten ein Todfeind. Und in Bosnien leben zumeist Muslime.“

Nach Hause könne er niemanden einladen. Mit den beiden erwachsenen Brüdern und den Eltern sei es in der winzigen Wohnung in Schnelsen „etwas eng“. Die Ausländerbehörde will auf zynische Weise Abhilfe schaffen. Er gehöre nicht zur Familie, signalisiert ihm das Ausländerrecht, das einen Zuzug von Kindern zu ihren Eltern nur bis zum 16. Lebensjahr vorsieht. Folglich soll er abgeschoben werden, obwohl Alexa Lukic wie seine Brüder Djoko (19) und Dusan (17) in Hamburg geboren wurde.

Seine Eltern (Kroaten serbischer Volkszugehörigkeit) gehörten Mitte der sechziger Jahre zu den ersten Einwanderern, die in Deutschland ihr Glück machen wollten. Die Großmutter nahm den Erstgeborenen nach einem Besuch mit nach Jugoslawien, als er acht Jahre alt war. „Sie wollte gern jemanden um sich haben“, erinnert sich Svetozar Lukic, der Vater. Niemand habe damals ahnen können, daß die Umsiedlung in das Dörfchen Lizki Tiskovac im heutigen Bosnien für den Jungen so weitreichende Konsequenzen haben würde. Heute macht sich der 56jährige Arbeiter dennoch Vorwürfe. Bis auf Alexa verfügt die Familie über einen gesicherten Aufenthaltsstatus.

Der Sohn ging bis zum Abitur im kroatischen Knin zur Schule, lebte aber in Bosnien im Haus der Großeltern. Anschließend jobbte er als Kellner. „Ich hatte keine Vorstellung, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Man lebte von einem Tag auf den anderen“: Alexa Lukic läßt sich nur widerwillig in die Vergangenheit zurückversetzen. Wenige Monate vor Beginn des Bürgerkriegs wurden in den Dörfern Barrikaden errichtet. „Jemand hat auf mein Auto geschossen“, erinnert sich Lukic. Es herrschte Pogromstimmung, die sich aufgrund seiner serbischen Herkunft auch gegen ihn richtete.

Erst als der Einberufungsbefehl für die serbische Armee kam, da habe er genau gewußt, was er nicht wollte: töten oder getötet werden. Im Oktober 1990 floh der damals 22jährige über Kroatien nach Hamburg zu seinen Eltern und galt fortan als Fahnenflüchtiger, der bei seiner Wiedereinreise zumindest mit einer langen Haftstrafe, wenn nicht mit dem Tode rechnen mußte. Das Haus, in dem er zuletzt gelebt hat, ist von Unbekannten niedergebrannt worden, kurz nachdem die Großeltern gestorben waren. Andere Verwandte leben versprengt in verschiedenen Flüchtlingslagern.

Doch der Sachbearbeiter auf dem Ausländeramt zeigte Alexa Lukic die kalte Schulter. Mehr als eine auf wenige Monate befristete Duldung sei nicht drin, entnahm der Flüchtling dem frischen Stempel in seinen Papieren. „Diese Behörde hat mich in Angst und Schrecken versetzt“, sagt der stille 28jährige mit Mühe. „Du lebst immer nur in diesen Gedanken: Irgendwann kommen sie und holen dich ab.“Nach langem Hin und Her wurde ihm erlaubt, anfangs zwei, jetzt vier Stunden zu arbeiten. In einer Reinigungsfirma. „Die Arbeit macht mir Spaß“, versichert er. Was er wirklich gern hätte – eine handwerkliche Berufsausbildung –, dafür reicht die Arbeitserlaubnis nicht aus. Musik, Disco, Freunde oder Hobbys? Alexa Lukic schüttelt den Kopf. „Das hab ich längst hinter mir.“

„Die psychische Belastung ist für uns alle sehr groß“, sagt seine Mutter, Mara Lukic. Sogar der Petitionsausschuß der Bürgerschaft habe sich bereits für ihren Sohn eingesetzt, dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt ist. Die Duldung wurde immer wieder um einige Monate verlängert, 1994 lehnte die Ausländerbehörde seinen weiteren Aufenthalt erstmals ab. Zur Zeit klagt Alexa Lukic vor dem Verwaltungsgericht auf Rücknahme der Abschiebeandrohung und Neuentscheidung über seinen Antrag auf eine Aufenthaltsbefugnis.

„In seinem Fall muß man über den rechtsstaatlichen Tellerrand der Bundesrepublik hinausschauen“, sagt sein Anwalt, Rolf Geffken. So oder so könne sein Mandant nicht abgeschoben werden, da er keinen Paß hat. „Ihn zum Kroaten zu erklären, das wäre Wahnsinn“, warnt Geffken. Zagreb hat mittlerweile abgelehnt, ihm Papiere auszustellen. Auch die serbische Konsulin weigert sich. Nein, Alexa Lukic falle nicht unter das Rückführungsabkommen, das im Dezember 1996 zwischen Bonn und Belgrad geschlossen wurde.

„Der kam immer wieder mit verschiedenen Papieren hier an“, rechtfertigt der zuständige Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde den langen Entscheidungsweg. Herr Schmidt will bis heute nicht verstanden haben, daß ein junger Mann aus Hamburg, dessen Vorfahren Kroaten serbischer Volkszugehörigkeit waren und der in Bosnien gelebt hat, nicht nach Serbien „zurückkehren“kann. Alexa Lukic beteuert: „Ich bin noch niemals dort gewesen.“

Das Verwaltungsgericht hat sich zwei Monate Bedenkzeit ausbedungen. Da die Rechtslage alles andere als eindeutig ist, läuft das Verfahren auf eine Ermessensentscheidung hinaus. Richter Heiko Meins hat sich vom Auswärtigen Amt Berichte kommen lassen, nach denen die gängige Strafpraxis bei Wehrdienstentziehung jetzt „nur“noch bei höchstens achtzehn Monaten Haft liegen soll.

„Man weiß nicht, was heute ist oder was morgen passiert“, sagt Svetozar Lukic, „man soll nicht soviel nachdenken.“Die Duldung seines ältesten Sohnes läuft im November ab.

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