Junkies haben Recht auf Freizügigkeit

■ Urteil: Sechsmonatige Aufenthaltsverbote sind unzulässig

Die Bremer Junkies haben gute Aussichten, sich wieder halbwegs frei bewegen zu dürfen. Das Verwaltungsgericht hat die gängige Praxis der „Aufenthalts- und Durchquerungsverbote“für rechtswidrig erklärt.

Seit 1995 versucht die Bremer Polizei die offene Drogenszene nicht mehr nur mit kurzfristigen Platzverweisen zu sprengen: Für sechs Monate wird seitdem für Junkies und Kleindealer das gesamte Gebiet Ostertor/Steintor von der Weser bis zur Bismarckstraße und vom Wall bis zur St.-Jürgen-Straße oder die gesamte Bahnhofsgegend zum Sperrgebiet erklärt. Nach Auskunft des Stadtamtes wurden im vergangenen Jahr etwa 30 Verbote verhängt.

Der Ausgesperrte, der nicht einmal mehr mit der Straßenbahn das Revier durchfahren darf, bekommt einen Stadtplan, auf dem die verbotene Zone schraffiert ist. Wer sie trotzdem betritt – das sind faktisch alle – wird mit 200 Mark oder einem Tag Zwangshaft bestraft.

Die Polizei beruft sich auf das hiesige Polizeigesetz: Danach darf sie „notwendige Maßnahmen trefffen“, um eine „bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren“. Zu vage, urteilten die Verwaltungsrichter, nachdem ein Junkie, der schon im Besitz des dritten Viertel-Verbots ist, klagte. Die Verfügungen seien mit dem grundgesetzlich verankerten Recht auf Freizügigkeit nicht vereinbar.

Der Aufenthalt sei für den Drogenabhängigen „Ausdruck seiner Lebensgestaltung“, so die Richter. Auch wenn die, die „gewohnte Plätze“aufsuchten, Dealer und Drogenabhängige seien, „handelt es sich um Orte, die für die Betroffenen wichtig sind und ihren Lebensinhalt zu einem Gutteil ausmachen, sei dieser noch so fremdartig und verwerflich“, heißt es im Urteil. Georg Kurz von „akzept e.V.“für akzeptierende Dogenarbeit wertete das Urteil als Erfolg für die vertreibungsgeplagten Junkies. „Es ist ja auch völlig absurd, die Leute aus einer Gegend fernzuhalten, in der ihr Hausarzt sitzt, ihr Bewährungshelfer, die Aids-Hilfe und alle ihre Freunde.“

Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß der Richterspruch das Gegenteil von Freizügigkeit nach sich zieht – ein schärferes Polizeigesetz. „Gesellschaftspolitisch möglicherweise umstrittene Grundentscheidungen“müßten auf parlamentarischem Wege beschlossen werden, so die Richter. Damit könnte beispielsweise das niedersächsische Polizeigesetz, in das eigens für die Chaostage ein ausschweifender Platzverweis-Begriff eingeführt wurde, in der Bürgerschaft landen. Zunächst einmal aber will das Stadtamt in Berufung gehen. jago