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Raketen über den Kongo-Fluß

Völlig mittellos treffen Flüchtlinge aus dem zerstörten Kongo-Brazzaville in Kinshasa ein. Der Krieg hat sich offenbar längst internationalisiert  ■ Aus Kinshasa Andrea König

Die Menschen vor der Botschaft der Republik Kongo stehen unter Schock. Sie sind mit Pirogen über den Fluß von Brazzaville nach Kinshasa gekommen und haben ihr Hab und Gut zurückgelassen. Jetzt stehen sie zu Hunderten vor ihrer Botschaft und schütteln stumm den Kopf. Ihr Botschafter zeigt sich nicht. Viele denken, daß er sich abgesetzt hat.

„Alles wurde geplündert“, erzählt einer der Flüchtlinge. „Das Zentrum von Brazzaville gleicht einer einzigen Ruine. Als dann auch am Stadtrand der Strom ausfiel, habe ich mich entschlossen, nach Kinshasa zu kommen. Ich bin hier mit meiner Familie. Aber ich habe kein Geld und nichts zu essen. Wenn das so weitergeht, muß ich nach Brazzaville zurück.“

Kinshasa, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, liegt direkt gegenüber von Brazzaville, Hauptstadt der Republik Kongo, am mehrere Kilometer breiten Kongo-Fluß. Von hier aus scheint die Silhouette von Brazzaville unverändert. Aber man hört die Schüsse aus Maschinengewehren und die Raketen, die in den verfeindeten Stadtteilen niedergehen. Seit einem Monat kämpfen in Brazzaville die Anhänger von Präsident Pascal Lissouba und dem Oppositionsführer und früheren Militärdiktatur Denis Sassou- Nguesso um die Macht. Lissouba hält das Zentrum und den Süden, Sassou-Nguesso den Norden der Stadt. Tausende Tote soll es gegeben haben. Das Zentrum der Stadt muß völlig zerstört sein. Der Mitarbeiter eines Hilfswerks sagt: „Es herrschen Zustände wie in Liberia.“

Das rhythmische Abschießen der Raketen ist auch in einer kleinen Kneipe am Fluß in Kinshasa zu hören, wo Funktionäre zu Mittag essen. Aber diesmal bleiben einigen die Brocken im Hals stecken: Die Raketen fliegen offenbar aus Kinshasa in Richtung Brazzaville. Ein Mann ruft: „Das ist unsere Seite, die schießt! Das gleicht ja einer Kriegserklärung.“ Bei jedem neuen Abschuß schreien die Leute. Auf der Straße vor der Kneipe bleiben die Menschen stehen und versuchen zu verfolgen, wohin die Geschosse gefeuert werden. Sie sind sich schnell einig: Laurent Kabilas AFDL-Militär in Kinshasa beschießt eine kleine Insel im Fluß, die Brazzaville vorgelagert ist. Dort sollen sich Milizionäre von Sassou- Nguesso mit der früheren Präsidialgarde DSP des ehemaligen zairischen Diktators Mobutu zusammengeschlossen haben. Zusätzlich soll Sassou-Nguessos „Cobra“-Miliz auch ehemalige ruandische Hutu- Soldaten und Interahamwe-Milizionäre rekrutiert haben.

Dies entspricht nicht den Entwicklungen, die Vertreter von Hilfswerken und diplomatische Beobachter erwartet hatten. „Es ist absurd“, erklärt der Mitarbeiter eines Hilfswerks. „Präsident Lissouba war ein Freund Mobutus. Alle erwarteten, daß sich die AFDL auf Seite Sassou-Nguessos schlägt. Seit aber bekannt wurde, daß die DSP sich mit den Cobras zusammengeschlossen hat, gibt es bloß noch eine Erklärung: Von Bangui über den Norden Kongos bis zu Sassou hat sich eine ethnische Gruppe gefunden, die nun zusammen kämpft.“ Mobutu kommt aus dem Nordwesten Ex-Zaires; Sassou-Nguesso stammt aus dem Norden der Republik Kongo direkt nebenan, und an diese Region grenzt auch der Süden der Zentralafrikanischen Republik, aus dem die Armeeteile stammen, die in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui gegen die Regierung in den Aufstand getreten sind.

Vom Krieg der Milizen und den Plünderungen ist nicht nur die Bevölkerung Brazzavilles betroffen, die das Stadtzentrum mehrheitlich verlassen hat und entweder an den nördlichen oder südlichen Stadtrand geflüchtet ist. Betroffen sind ironischerweise auch Unternehmen, die im Mai vor der Ankunft der AFDL in Kinshasa Angst hatten und ihre Ware nach Brazzaville in vermeintliche Sicherheit bringen wollten. Viele haben nun ihre Lagerbestände und Autos völlig verloren. Für manche Firmen geht der Verlust in die Millionen.

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