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Angstschweiß und Atemnot

Hamburg unterirdisch, taz-Serie, Teil 1: Als die Bomben fielen, kauerten Hunderte von Menschen im überfüllten Bunker am Wichernsweg in Hamm  ■ Von Heike Haarhoff

Wenn man die Augen schließt, wird die Finsternis erträglicher. Gedanken werden zu Bildern, manche zu Geschichten. Mit etwas Glück sind es angenehme, die den Geruch von Beklemmung und Moder vergessen lassen. Moder, der 56 Jahre lang Zeit hatte, sich hier in diesem vierröhrigen Kellergewölbe breit zu machen.

Manchmal aber wollen nur Fragen vor den geschlossenen Lidern kreisen, immer dieselben, und je häufiger sie unbeantwortet verscheucht werden, desto bohrender kehren sie zurück. Bis man sie zu- und sich auf die Vorstellung einläßt, wer hier, auf diesen unbequemen Holzbänken entlang der feucht-kalten Betonwand, wohl schon alles gekauert haben mag. Damals, vor 54, 55, 56 Jahren. Als die Bomben auf Hamm niedergingen. Als der Stadtteil brannte und die Druckwelle selbst den Bunker im Wichernsweg erzittern ließ. Als das, was heute Geschichte und demnächst Bestandteil eines Museums der Stadtteilinitiative Hamm ist, Zufluchtsort von Hunderten von Menschen war.

17 Meter ist jede der vier unterirdischen Bunker-Röhren lang, zwei Meter breit. Die Röhren liegen parallel zueinander. Sie sind alle gleich spärlich ausgestattet: An der linken Wand die Holzbänke, gegenüber Regale für Wolldecken, Not-Apotheken, Koffer mit den wichtigsten Habseligkeiten. Und natürlich für die Kerzenhalter. Aber Licht darf sowieso nur selten brennen. Wegen des Sauerstoffmangels – trotz der Belüftungsschächte am Ende jeder Röhre.

Manche sind daran erstickt. Selbst mit vier Personen ist die Luft schlecht. Man sehnt sich nach dem verwilderten Kirchgarten der Hammer Wichernkirche nur wenige Meter über unseren Köpfen. Dort ist der Eingang zu diesem unterirdischen Versteck, ein unauffälliger Gitterverschlag, der aussieht wie ein Geräteschuppen. 25, 30 Betonstufen geht's hinab. Stahltür auf, das ist der Vorraum, die „Gasschleuse“: Ein leerer, vielleicht schlafzimmergroßer Raum, der ein schützendes Vakuum gegen Giftgase zwischen Treppe und dem eigentlichen Bunker bildet.

Von ihm gehen die vier Röhren ab. Jede ist mit einer grauen Stahlpanzertür und zwei dicken Hebeln verriegelt. Eine einzelne Frau schafft es kaum, sie zu lösen. Man muß schon den ganzen Körper gegen die Tür stemmen. Was, wenn es schnell gehen mußte? Wenn der Bunkerwart gerade nicht da war? Dann, endlich, geschafft – die Röhre öffnet sich. Die gasdichte Tür fällt dumpf ins Schloß.

Wie viele mußten in dieser Tiefe ausharren, stundenlang, auf engstem Raum? 50 Personen passen in jede Röhre, behauptete die Bunkerordnung der Nazis. Macht 200 Menschen insgesamt. Meistens waren es doppelt so viele. Drinnen. Draußen drängelte sich der verzweifelte Rest, der oft nicht mehr erlebte, daß er es nicht rechtzeitig geschafft hatte.

Wer es wagt, in dieser absoluten Dunkelheit auf allen Vieren vorsichtig durch den Gang zu kriechen, stößt irgendwann auf die einen Quadratmeter großen Wandlöcher, die die einzelnen Röhren miteinander verbinden. So also konnte man sich inter-bunkeral verständigen. Aber den meisten war sicher nicht nach Reden. Manche haben ihre Todesängste lieber der Wand anvertraut, aber auch existentielle Nachrichten wie „Ich lebe noch“niedergeschrieben. In der Hoffnung, jemand möge sie zufällig lesen und den vermißten Freunden und Verwandten ausrichten.

Mit den Fingern läßt sich die niedrige und gewölbte Decke in der Dunkelheit ertasten. Daß der rauhe, weiß gestrichene Beton überall einen Meter dick ist, weiß man, weil Kerstin Rasmußen und Gunnar Wulf von der Stadtteilinitiative es erzählen. Die Menschen, die sich bei Alarm hierher flüchteten, wußten es auch. Wie sicher sie sich wohl fühlten?

Im Bunker gibt es keine Intimität. Nicht einmal auf den Klos. Zwei pro Röhre befinden sich am Ende jedes Schachts. Zwei für 100 Menschen oder mehr. Die Türen schwingen wie im Western-Saloon. Eine Wasserspülung existiert nicht. Es gibt überhaupt kein Wasser. Im ganzen Bunker nicht.

Wie sich all dem entziehen? Die Panzertür ist dicht. Durch das Dunkel läßt es sich bis zum Ende der Röhre stolpern, vorbei an der „Abortzelle“. Die Hände fühlen eine Stahl-Klappe, eine Art Luke. Der Notausgang. Schwer ist er zu öffnen, aber immerhin. Im Gang dahinter ist die Luft unverbrauchter. Man kommt nur gebückt vorwärts. Bis es plötzlich schimmert: Tageslicht. Da sind sie auch schon, die Eisensprossen, fest in die Wand betoniert, zehn Stück insgesamt. Der Notausgang hat kein Geländer, der Abstand zwischen den Stufen ist groß. Wie viele Frauen mit Kindern auf dem Arm schafften es trotzdem? Wie viele Gebrechliche stürzten kurz vor dem Ziel ab?

„Es ist vorbei“, sagt Gunnar Wolf. Endlich wieder Licht.

Hamburg unterirdisch, Teil 2 am Freitag, 18. Juli: Schreckenskammer und Weindepot – Der Rathauskeller

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