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Als „Medium of Exchange“begleiten Arbeiten von zehn internationalen Künstlern den heute eröffnenden Bildungs-Kongreß „Confitea“der UNESCO im CCH

Die Rapper sind kaum zwölf Jahre alt und singen davon, wie ihre Freunde von einer Todesschwadrone überrascht und getötet wurden: Straßenkinder in Rio de Janeiro. Mit unfaßbarer Leichtigkeit wird da vor der Videokamera über ein schweres Leben gesprochen.

Die Filme gehören zum Projekt „Devotionalia“, bei dem Mauricio Dias und Walter Stephan Riedweg in den Favelas von Rio mit Kindern über Kunst als Katalysator ins Gespräch gekommen sind. Bei der komplizierten Arbeit, Abgüsse von Händen und Füßen zu erstellen, wie sie in den Kirchen als Dankopfer in Mengen aufgehängt werden, erzählten die Kinder von ihrem Leben und ihren größten Wünschen: Wohnung, Arbeit und Freunde.

Die gleichermaßen sinnliche wie soziologisch brisante Installation wurde im Museum für Moderne Kunst in Rio gezeigt und mehrfach in der Schweiz. Zur Zeit ist sie im Rahmen der Ausstellung Medium of Exchange im Congress Centrum Hamburg aufgebaut, später wird sie im Parlament von Brasilia stehen. Zusammen mit acht anderen Installationen wurde sie von Karin Günther und Corinna Koch als künstlerischer Beitrag zum Welt-Kongreß Confintea 1997 ausgewählt. Das in Hamburg ansässige UNESCO-Institut für Erziehung führt den Kongreß durch, auf dem über 2000 internationale Delegierte eine Woche lang über die elementare Bedeutung des lebenslangen Lernens debattieren.

Von der Infobörse im Saal 3 wandert der Blick auf die Empore mit der Plakatwand von documenta -Teilnehmerin Suzanne Lafont aus Paris. Unter dem Titel „Trauerspiel“assoziieren ihre Fotos gesichtsloser Architektur, inszenierter Arbeitsposen und von Städtenamen von Istanbul bis Frankfurt den Identitätsverlust von Migranten.

Das gleiche Thema greift Rirkrit Tiravanija auf, wenn auch eher freundlich gestimmt. Der in New York lebende, meist jedoch durch die Welt reisende Thailänder hat zwei große Zelte aufbauen lassen, in denen Super-8-Filme aus Bangkok und Berlin laufen: Moderne Nomaden erinnern sich nostalgisch an alte Vorstellungen von Heimat.

Gleich, ob Flüchtling oder jettender Weltbürger, die Verständigung untereinander wird trotz wachsender Kommunikation immer schwieriger. Exemplarisch dafür lesen in der vierteiligen Videoarbeit der in Berlin lebenden Italienerin Daniela Comani Menschen verschiedener Nationen einen Klassikertext in einer für sie fremden Sprache: schöne, leere Worte.

Künstlerische Arbeit kann ein Modell von Vermittlung sein, eine Form, die ein Thema aufgreift und gestaltet, so daß die Notwendigkeit klar wird, sich weiter damit zu befassen. So ist es auch ein Vorschlag und keine Lösung des Problems, wenn der zur Zeit mit einem Stipendium in Hamburg lebende Dan Peterman die Idee seines „Fahrradshops“weiterentwickelt. Was er mit Jugendlichen auf einem Chicagoer Recyclinghof aufgebaut hat, könnte auch ein mobiler Container leisten, der in Problemzonen selbstbestimmte handwerkliche Arbeit ermöglicht.

Wie der Kunstbetrieb selbst zur ökonomischen Resource wird, demonstrieren Swetlana Heger und Plamen Dejanov. Sie lassen sich in Ausstellungen zu Jobs anheuern oder vermieten eine Plattform ihrer Kunst-Installationen. Von dem erwirtschafteten Geld kaufen sie eine eigene Kunst- und Designsammlung, mit der sie eine Kunst-Wohnung in Berlin einrichten wollen.

Doch Künstler müssen keine direkte Hilfe bei der Sozialarbeit leisten oder Wirtschaftsprozesse simulieren; ihre Hauptfähigkeit ist die Schulung der Wahrnehmung. Die Amerikanerin Lorna Simpson bearbeitet die Rassenproblematik anhand alter Fotografien. Aus historischen Familienbildern vergrößert sie ausschließlich die Hände und fordert so eine Sichtweise, die nicht durch schnelles Einordnen geprägt ist. Von den Bildern des schwarzen Fotografen James VanDerZee aus dem Harlem der 20er Jahre hat sie bürgerliche Accessoires wie Vasen und Gläser kopiert, aus schwarzem Glas nachgestalten lassen und fotografiert. Die Bildserie zeigt nun ein Design, das auf subtil-böse Weise historisch aufgeladen ist. Hajo Schiff

Eröffnung: heute, 14 Uhr, Congress Centrum Hamburg, Saal 3. Mo 16.30-18.30, Di/Mi 17-19.30, Do 16.30-18.30, Fr 10-12 Uhr, bis 18. Juli

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