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Bis daß der TÜV uns scheidet

Abschiebung einer Familie, weil der Vater zu spät zur Zulassungsstelle kam. Chefin: „Ohne Herrn Kaynak ist unsere Existenz bedroht“  ■ Von Silke Mertins

Es war nicht einmal sein Auto. Und daß ein Mensch allein überhaupt „so viel Pech“haben kann, ist dem Kurden Alaadin Kaynak unbegreiflich. Noch unverständlicher ist dem 36jährigen Schneider aber, daß zwei Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung nun zu der Abschiebung seiner ganzen Familie führen sollen. Fünf Tage war er bereits in Abschiebehaft. Übermorgen befaßt sich der Petitionsausschuß der Bürgerschaft mit ihm.

Was Kaynak von seinen Versuchen, ein Auto anzumelden, berichtet, klingt wie ein Sketch von Loriot. Vor drei Jahren ersteigerte er bei einer Polizeiauktion für seinen noch minderjährigen autoverrückten Schwager ein altes Auto, für das angeblich Papiere und TÜV vorlagen. Als er vom Hof fahren wollte, hieß es, die gültigen Dokumente fehlten. Er solle sie sich besorgen. Es folgte ein Irrlauf zwischen Verkehrsamt, Versicherung, Reperaturwerkstatt und Ex-Besitzerin. Am Ende der Woche hatte Kaynak es geschafft. Mit den TÜV-Papieren eilte er zur Zulassungsstelle. Doch die hatte bereits geschlossen.

Auf dem Auktionsparkplatz sagte man ihm nun: Entweder das Auto würde sofort entfernt oder der Abschleppdienst gerufen. Kaynak wollte die alte Karre nun vor seinem Haus abstellen, fuhr beim Einparken einen Poller um und rief die Polizei. Die Beamten stellten fest: Sein türkischer Führerschein ist inzwischen, nach drei Jahren in Deutschland, nicht mehr gültig. Also: Fahren ohne Fahrerlaubnis. Außerdem sei der Versicherungsschutz abgelaufen. Der Kurde erhielt einen Strafbefehl.

Die Verkehrsdelikte werden Kaynak nun zum Verhängnis. Die Ausländerbehörde will den Aufenthalt des abgelehnten Asylbewerbers nicht verlängern. Wegen des Strafbefehls könnten Kaynak, seine Frau Aysel und die beiden Kinder, die siebenjährige Özlam und der zweijährige Recep, nicht unter die Härtefallregelung fallen.

Der Strafbefehl sei nicht der einzige Grund, warum die Härtefallregelung nicht in Frage komme, so Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Die Ehefrau wäre erst 1994 eingereist. Die Kinder seien erst drei Jahre hier, „da kann man nicht von Härte sprechen.“Außerdem reiche das Einkommen des Vaters für die Familie nicht aus.

1.263 Mark verdient Alaadin Kaynak mit seiner 17,5-Stunden-Stelle als Schneider. 748 Mark kostet die Miete für die kleine Ein-Zimmer-Wohnung. Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, „schämen wir uns“, sagt der Familienvater. Viel bleibt nicht: „Da muß man oft Kartoffeln essen.“

„Wir wollten Alaadin von Anfang an voll beschäftigen“, so Kaynaks Chefin, Marie von Ketelholdt. Wenn er denn dürfte. Denn nur er könne Näharbeiten von Hand derartig akkurat fertigen, daß „eins wie das andere ist“, und gleichzeitig an Maschinen arbeiten. Über siebzigmal hat das Arbeitsamt bereits vergeblich Leute geschickt. „Herr Kaynak ist für unsere Firma unersetzlich“, schreibt sie an den Petitionsausschuß. Als Alternative bliebe nur eine mit 75.000 Mark viel zu teure Maschine. Die Näherei bestehe aus zwölf Arbeitsplätzen und bilde „laufend Lehrlinge aus“. „Wir sind ganz klar in unserer Existenz bedroht, wenn wir Herrn Kaynak verlieren sollten.“

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