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„Kartenverkäufer legen sich gerne an“

■ Cinemaxx läßt Eltern freier entscheiden und riskiert Verstoß gegen Jugendschutz

Die Zensur-Unwilligkeit dieser Gesellschaft wird immer größer. Andererseits: Der Regulierungsbedarf wächst ins Unermeßliche. Denn Bits und Bites schleichen sich in jedes Kinderzimmer. Die Botschaft des Bösen ist materielos. Keine Wände schützen vor blutrünstigen Elektroimpulsen. Wir haben ein Problem.

Denn im Alltagsgeschäft muß heute die Klärung der Grenzen innerhalb einer – offenen Gesellschaft stattfinden, und dort findet er auch statt. Zum Beispiel zwischen der Geschäftsleitung der Flebbe-Kinogruppe, deren Belegschaft und dem Jugendschutz. Der Streitpunkt: Die Altersfreigabe der FSK, der Freiwilligen Selbstkontrolle, jenes e-Punkt-V-Punkt mit VertreterInnen von Landesjugendbehörden, Filmwirtschaft, Kirchen oder Gewerkschaften, welcher angetreten ist, das bunte Treiben Film zu katalogisieren in sechs Kategorien: ohne Altersbeschränkung, ab 6 Jahre, ab 12, ab 16, ab 18, nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Alle drei Parteien vertreten einleuchtende Standpunkte, alle haben ihren Anteil am Rechthaben.

So erstens Meinolf Thies, Leiter Kinoorganisation und Operations, („..verantwortlich für alles, was den Ablauf des Kinobetriebs betrifft“) ist Verfasser einer Dienstanweisung mit kriminellem Potential: „Keine Mitarbeiterin/Mitarbeiter des Flebbe Imperiums soll von nun an ein Kind in Begleitung eines Erziehungsberechtigten bzw. Erwachsenen dezidiert nach dem Alter fragen.“

Einen „eindeutigen Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz“erkennt darin aber Herr Hönge von der FSK, Wiesbaden. „Wir sprechen keine unverbindlichen pädagogischen Empfehlungen aus. Unsere Altersgrenzen formulieren die unterste Zumutbarkeitsgrenze. Der pädagogische Wert der FSK ist nicht zuletzt, daß die Gesellschaft darüber nachdenkt, was Jugendlichen zuzumuten ist.“

Diesen „pädagogischen Wert“will Meinolf Thies nicht antasten. Er argumentiert aber mit Einzelfällen. Was wäre, wenn eine Familie mit zwei 13jährigen und einem 11jährigen zu einem Kindergeburtstag einen Ab-12-Film ansehen will... Wie fühlt sich ein kleinwüchsiger 14jähriger dessen Eltern bei einem Ab-12-Film den Personalausweis... usw. „Das Problem der Kindertränen im Foyer.“

Es ginge ihm nicht um wirtschaftliche Interessen, von den bis zu 40.000 in jedem Cinemaxx in jeder Woche verkauften Tickets handelt es sich nur bei circa 0,1 Prozent um Altersgrenzfälle, ihn störe lediglich eine unflexible Polizeiüberwachungsmentalität, die keine Sonder- und Grenzfälle mehr kenne, versichert Thies. „Dafür streite ich mich sogar mit dem Jugendamt.“Wird er wohl müssen. Der Termin dafür ist anberaumt.

Thiesens Dienstanweisung tarnt sich als mitarbeiterfreundlich. Wir wollen Euch ja nur den Ärger mit endlosdiskutierenden Eltern ersparen, so der Tenor. „Da legen wir uns lieber noch ein bißchen an“, kontert Frau Krause, Betriebsrätin in Hannover. Zwei Einwände hegt sie gegen die neue Linie. Weil sie den Hannoveraner Mitarbeitern nur mündlich übermittelt wurde, vermutete sie eine Rechtsunsicherheit für Kartenverkäufer und Personal am Einlaß. Die ist jetzt geklärt durch ein Formblatt für Eltern, das ihre Haftbarkeit festschreibt, und die Direktive, in Grenzfällen die Kinoleitung zu holen. Bleibt aber immer noch die Überzeugung, daß die FSK einfach „im großen und ganzen einleuchtend“ist.

So dachte der Betriebsrat sogar nach über „rechtliche Schritte. Als Verstoß gegen die Stellenbeschreibung könnte man die neue Linie eventuell bombardieren.“

Daß die Frage um Offenheit oder Verbot nicht nur die Gesellschaft spaltet, sondern sogar einzelne Köpfe, das zeigen zwei Anekdoten, die Hönge und Thies zum Besten gaben: Besucht eine Schulklasse das Büro der FSK, wird diskutiert über die Angemessenheit einer Altersgrenze, meint ein Junge: „Ich selbst hätte diesen Film damals, als ich klein war, schon vertragen. Mein kleiner Neffe aber, dem sollte man sowas nicht zumuten.“Ich und die anderen – schon immer unvergleichbar. Und die Thies-Story: Will ein Lehrer seinen Schülern den Zugang zu „Con Air“erstreiten, unterschreibt er die Erklärung zur Verantwortungs-Übernahme, verläßt nach einer Viertelstunde die Vorführung mit der Bekundung: Er habe gelogen, seine Schüler seien erst elf Jahre, er könne das nicht verantworten: Ein Lehrstück von der Umwertung der Werte durch die schriftliche Fixierung. bk

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