Kunst und Go-go im Knast

Als römische Sklaven verkleidet, rückte die Männertheatergruppe aus der JVA Tegel mit „Stein und Fleisch“ in den Frauenknast Plötzensee ein. Dabei war  ■ Holger Wicht

Funky Beats im Veranstaltungssaal der Frauenvollzugsanstalt Plötzensee. Einige muskulöse Männer haben ein Podest erklommen und schwingen rhythmisch die spärlich bekleideten Hüften. Die inhaftierten Frauen quittieren das ungewöhnliche Spektakel mit begeistertem Gejohle. Einige tanzen, andere tauschen mit Männern in römischen Togen Adressen. Zellennummern inklusive, denn die antiken Go-go-Boys sind ebenfalls Gefangene.

Mit einem Tourbus ohne Fenster ist die Inhaftierten-Theatergruppe der JVA Tegel am Dienstag zu ihrem ersten Gastspiel ausgerückt. Der Strip ist die exklusive Zugabe für den Frauenknast zur ersten Produktion des 20köpfigen Ensembles: „Stein und Fleisch – kein Stück über Tegel“.

Der Boden des Veranstaltungssaals ist mit Sand bedeckt, die Gefangenen stehen als römische Sklaven in der Arena. Rom ist verwahrlost, und ein Sklavenhändler jammert über den Verfall der Preise: „Heutzutage kostet ein Sklave mehr, als er einbringt.“ Julius Caesar beschließt, der Misere ein Ende zu setzen. Sich selbst zur Ehre läßt er ein Amphitheater bauen. Die Sklavenschar wird sortiert in „Stein“ und „Fleisch“ – Bauarbeiter und Gladiatoren. Dann wird es Nacht in der Arena, die Sklaven liegen im Sand, der im orangefarbenen Licht fast zum Strand geworden ist, und sprechen von der fernen Heimat. „Die Liebe ist so schön“, sagt einer, „erinnere mich nicht daran!“ Urplötzlich heult ein Motor auf, auf einem schweren Motorrad braust eine blonde Show-Lady in den Saal: „Ich bin die Sonne der Heimat“, erklärt die Dea ex machina und befragt zunächst die Sklaven, dann auch die Frauen aus dem Publikum nach ihren Herzenswünschen.

„Kann ich mir bitte einen Mann aussuchen?“ fragt eine höflich, ansonsten lautet der Konsens in Sprechchören: „Freiheit!“ Die Anstaltssirene beendet das Spektakel. Aufseher werfen Blechnäpfe in den Sand der Arena: „Friß und stirb!“

Die Mimen sind bis auf vier professionelle SchauspielerInnen allesamt Insassen des Teilbereiches 5 der JVA Tegel, sogenannte Langstrafer, die mehr als fünf Jahre abzusitzen haben. Die Theatergruppe entstand auf Initiative des Projektes „Aufbruch“, das regelmäßig die Tegeler Anstalt heimsucht, um den tristen Gefängnisalltag mit Performances aufzulockern. Denn Freizeitangebote sind Mangelware im Knast. Die Theatergruppe bedeute für die Gefangene vor allem, aus freien Stücken an sich selbst arbeiten zu können, erklärt Peter Struppek, Mitglied des Ensembles. Die gemeinsame Arbeit am Theaterstück habe auch den Umgang der Gefangenen untereinander verändert: Im Knastalltag, ansonsten von Neid und Mißgunst geprägt, sei ein Gemeinschaftsgefühl aufgekommen, selbst harte Machos hätten im Schutz der Rolle plötzlich ihre Gefühle dargestellt. Ein im doppelten Sinne unbezahlbarer Effekt: „Wenn es keine Angebote gibt, mit denen die Gefangenen an sich selbst arbeiten können, gehen sie irgendwann raus aus dem Knast, wie sie reingekommen sind“, weiß Struppek. Doch Geld für solche Angebote haben die Berliner Haftanstalten nicht. Sie sind auf ehrenamtliches Engagement von außen angewiesen. Kontinuität und Professionalität sind so nicht gewährleistet.

Männer im Frauenknast bleiben ohnehin vorerst die Ausnahme. Ein Gegenbesuch einer Theatergruppe aus der Frauenhaftanstalt Plötzensee ist jedoch in Planung.