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Auf die lange Bank geschoben

Nach dem Streit über das Haushaltsdefizit stehen die Chancen schlecht für eine Reform des Staatsbürgerrechts. „Junge Wilde“ in der CDU sehen die Felle davonschwimmen  ■ Aus Bonn Markus Franz

Als CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble kürzlich im taz-Interview deutlich machte, daß es in dieser Wahlperiode nur zu einer kleinen, nicht mehr einer großen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts kommen wird, wurden die sogenannten Jungen Wilden, die CDU-Abgeordneten Altmaier, Röttgen, Gröhe und von Klaeden, blaß. Die Arbeit eines Jahres, das öffentliche Hochziehen des Themas Staatsangehörigkeit, der zum Teil erbitterte Streit mit den Hardlinern in der Union, das Drohen, Nachgeben, Angreifen, wieder Nachgeben – alles schien auf einmal vergebens.

Bislang hatte Schäuble als Anhänger der Positionen der jungen Abgeordneten gegolten, deren Hauptanliegen darin besteht, daß in Deutschland geborene Kinder von Ausländern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten sollen. Öffentlich dafür ausgesprochen hatte sich Schäuble nie, doch des öfteren in Fraktionssitzungen seine schützende Hand über die jungen Abgeordneten gehalten. Lange Zeit sah es gut für eine richtungsweisende Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts aus. Die ausländerpolitische Sprecherin der FDP, Cornelia Schmalz-Jacobsen, hatte noch im März im Bundestag gesagt: „Jeder weiß, daß es eine klare Mehrheit in diesem Hause gibt. Diese klare Mehrheit wird sich eines baldigen Tages ihr Abstimmungsverhalten suchen.“

Und tatsächlich schien eine fraktionsübergreifende Einigung möglich. Grüne, FDP und SPD sprachen sich in Gesetzentwürfen bzw. einem Entschließungsantrag (SPD) für die automatische Einbürgerung aus. Die SPD konnte sich allerdings nur zu einer Einbürgerung von Kindern der dritten Generation durchringen (schon die Eltern müssen in Deutschland geboren sein). Insbesondere die FDP machte Druck, um sich außer beim Steuerthema noch in einem anderen Bereich zu profilieren.

Doch die Vorzeichen haben sich geändert: Das Ausmaß des Haushaltsdefizits ist erschreckend. Die Steuerreform wird voraussichtlich scheitern. Niemand rechnet mehr mit einer entscheidenden Senkung der Arbeitslosigkeit. In einem solchen Klima, so argumentieren immer mehr Abgeordnete, gibt es in der Bevölkerung für ein — so bezeichnetes — Entgegenkommen gegenüber Ausländern nicht genügend Akzeptanz.

Den Unions-Hardlinern kommt außerdem zugute, daß die FDP sich schon bei der Steuerreform durchgesetzt hat. Ihr Verhandlungskonto, heißt es, sei daher bereits überzogen. Die CSU kann nach Koalitionslogik darauf pochen, nicht noch einmal das Nachsehen gegenüber der ungeliebten Fünf-Prozent-Partei zu haben.

Die jungen Abgeordneten der CDU erhalten nun möglicherweise die Quittung dafür, daß sie die Reform auf die lange Bank geschoben haben. Im vergangenen Jahr verzichteten sie darauf, das Thema auf dem Parteitag zu forcieren. Schließlich galt es, Helmut Kohls Jubelfeier als am längsten amtierender Bundeskanzler nicht zu stören. Der Plan einer Anhörung im Bonner Wasserwerk wurde aufgegeben, weil inzwischen die Situation für die Regierung zu prekär geworden war. Auch einen gemeinsamen Gruppenantrag von Abgeordneten aus CDU, SPD, FDP und Grünen haben die Beteiligten bislang nicht gewagt.

Wie kann eine Reform dann jetzt überhaupt noch aussehen? Es spricht einiges dafür, daß die Union ihr altes Konzept von der Kinderstaatszugehörigkeit verwirklichen will. In Deutschland geborene Kinder würden weiterhin Ausländer bleiben, aber zusätzliche Rechte erhalten (z. B. erleichterte Reisemöglichkeiten).

Noch haben die Reformer aber eine Chance. Wenn FDP, Grüne, SPD und die jungen CDU-Abgeordneten an einem Strick ziehen, könnten sie die Unionsspitze vielleicht dazu bringen, eine Abstimmung im Bundestag wie beim Transplantationsgesetz freizugeben. Des Fraktionszwangs enthoben, wäre es nicht mehr so schwer, mutig zu sein.

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