piwik no script img

Dr. Buissets Gespür für Atome

Gesichter der Großstadt: Für seine „Atompinzette“, mit der einzelne Atome versetzt werden können, wurde der Physiker Jörg Buisset ausgezeichnet  ■ Von Markus Franken

Experimente mit den Bausteinen der Materie brauchen Ruhe. Wer Jörg Buisset besuchen will – den diesjährigen Träger des Dr.- Jürgen-Geiger-Preises für Experimentalphysik –, muß sich aus der quirligen Mitte Berlins ins ruhige Dahlem begeben: zum Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Jörg Buisset holt seine Besucher bei der Pförtnerin ab. Jünger wirkend, ist der schlanke 35jährige mit weißem Hemd und Krawatte nahezu der ideale Schwiegersohn; von „verstaubtem“ Forscher keine Spur.

Die „Maschine“, wie Buisset seine Entwicklung nennt, steht im Keller eines unscheinbaren Neubaus – möglichst weit weg von den Erschütterungen der nahen U-Bahn-Linie 1 in einer schalldichten Kammer. Tief verborgen im Inneren eines Chaos aus Gasflaschen, Meßgeräten, fragilen Leitungen und massiven Aufbauten, befindet sich das Herz seines „Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskops“.

Milliardstel Millimeter

Eine daumengroße Metallspitze tastet sich, milliardstel um milliardstel Millimeter vorrückend, über eine Probe aus Kupfer. An das Atom, das sich zufällig auf der äußersten Spitze dieses Metallstiftes befindet, ist eine minimale elektrische Spannung angelegt, erklärt der Forscher. Wenn Buisset die Spitze – und damit das äußerste Atom – nahe genug an die Probe heranfährt, fließt ein Strom. Daraus kann man die Lage der einzelnen Atome bestimmen.

„Wenn man die Kupferprobe Linie für Linie abfährt, bekommt man ein Bild, auf dem man jedes einzelne Atom auf der Oberfläche sehen kann“, erklärt Buisset. Im Kellergang des Instituts sieht man Bilder von der Gitterstruktur des Kupfers, wie man sie sonst nur als Zeichnung aus dem Chemiebuch kennt. Der Unterschied: Bisher wurden solche Bilder theoretisch hergeleitet, das Rastertunnelmikroskop zeigt sie direkt. Fotos von Atomen also. „Wir stellen die Spannung an der Metallspitze so ein, daß eine Bindung zum einzelnen Kupferatom entsteht; das können wir dann aus dem Gitter lösen und an einer anderen Stelle anlagern.“

Diese Weiterentwicklung vom „Atommikroskop“ zur „Atompinzette“ ist Buissets preisgekrönte Konstruktionsleistung. Wie unvorstellbar kleine Bauklötze kann man Atome so zu größeren Gebilden kombinieren. Beispielsweise „aus Gras Rindersteaks machen“, das sei die Utopie, bei der man den Mikrokosmos verläßt und in die makroskopische Welt vorstößt. „Denn Gras und Rindersteaks unterscheiden sich nur in ihrer Struktur, nicht in der atomaren Zusammensetzung.“

Buisset ist begeistert: „Wir haben einen Verstärker an die Maschine angeschlossen; als ich das erste Mal das Wup-Wup-Wup gehört habe, mit dem sich die Atome bewegen, habe ich ein Gefühl für Atome entwickelt.“ Quantentheorie zum Anfassen, aber um an das Allerkleinste zu geraten, hat Buisset sechs Jahre arbeiten müssen. „Das war eine Zeit mit langen Durststrecken“, meint der in Paris aufgewachsene Sohn aus deutsch- französischer Ehe, der einst zum Studium nach Berlin gekommen ist. „Lernen, selbständig zu lernen“, das müßten die Unis ihren Studenten beibringen, denn nach dem Studium gehe die Berufsausbildung erst richtig los. Dafür könne man auch höhere Studienzeiten in Kauf nehmen. Der Preisgekrönte hat mit sieben Jahren für sein Studium länger gebraucht, als manche Bildungspolitiker sich das vorstellen.

Wissenschaftlicher Bastler

Mit dem Bau der Atompinzette hat Buisset auch bewiesen, daß er ein Bastler ist. Zur Forschung im Max-Planck-Institut kam er eher durch Zufall. „Ich arbeite gerne handwerklich“, sagt Buisset über Buisset – und man glaubt es. Wenn er von seinem Volvo Amazon, Baujahr 1968, erzählt, dann strahlt er und redet mit den Händen. „Schrottreif“ habe er den Wagen gekauft und ihn in jahrelanger Arbeit restauriert. Als er fertig war, fuhr ihm jemand in den parkenden Wagen – Totalschaden. Die Versicherung zahlte nicht, weil 1968 noch nicht alt genug für einen Oldtimer ist. Pech – aber so schlimm auch wieder nicht, „denn wenn ich eine Sache einmal zu Ende gemacht habe, dann habe ich auch genug“.

Auch von der Arbeit mit Atomen hat Buisset jetzt genug. Um daran zu arbeiten, die Atompinzette auch technisch einzusetzen, sei er zu ungeduldig. Denn bis Computerfirmen die Atompinzette für den Bau von Speichermedien und Schalterstrukturen nutzen können, „die dann ein Tausendstel ihrer heutigen Größe haben“, werden noch Jahrzehnte vergehen. Buisset will sich in Zukunft mit Wissensmanagement befassen und seine „Teamerfahrung aus der Forschung“ im Management der Industrie verwenden.

Bevor es soweit ist, muß er aber noch eine betriebswirtschaftliche Fortbildung abschließen. Außerdem heiratet er seine langjährige Freundin und freut sich auf das Kind, das die beiden im Dezember erwarten. Ob er dann aber noch Zeit fürs Management hat, das können ihm auch seine Atome nicht sagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen