: "Garzweiler II heute überprüfen"
■ Christoph Zöpel, früherer Vizelandesvorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD, zum umstrittenen Braunkohletagebauprojekt Garzweiler II. Ein Teil der Landesregierung will Konflikt mit RWE-Konzern vermeid
taz: Herr Zöpel, Sie haben zusammen mit Umweltorganisationen und vielen Privatpersonen jüngst per Anzeige an die Düsseldorfer Landesregierung appelliert, den geplanten Braunkohletagebau Garzweiler II zu stoppen. Sehen Sie dafür noch Chancen?
Christoph Zöpel: Vielleicht sollten wir zunächst einmal eine Begriffsklärung versuchen. Das Garzweiler-II-Projekt läuft bis zum Jahr 2080.
Die Bagger sollen aber schon im Jahr 2006 loslegen.
Was bis zum Ende des geplanten Kohleabbaus alles passieren kann, weiß doch kein Mensch. Definitive Aussagen über den Fortgang des Projektes sind zum heutigen Zeitpunkt gar nicht möglich. Das steht ja auch explizit in der landesplanerischen Genehmigung, dem sogenannten Braunkohleplan. Danach muß die Landesregierung die entscheidenden energiewirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Kernannahmen dieses Projektes immer wieder überprüfen. Sollten sich diese als nicht haltbar erweisen, so kann und muß die Landesregierung die Genehmigung ändern oder zurückziehen. Aus meiner Sicht wird immer deutlicher, daß es keine Gründe mehr gibt, Energieimporte für risikoreich zu halten. Darüber hinaus zeigt die Rio-Nachfolgekonferenz, daß das Verbrennen von Braunkohle wegen der damit verbundenen CO2-Emissionen unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes immer problematischer wird.
Als nächster Schritt im Genehmigungsverfahren steht nach den juristischen Niederlagen der Garzweiler-Gegner vor dem Landesverfassungsgericht die Genehmigung des Rahmenbetriebsplans an. Ihr Parteifreund und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sagt, bei diesem Genehmigungsschritt schreibe das Bergrecht die Regularien so vor, daß die Politik außen vor sei. Sind die politischen Interventionsmöglichkeiten ausgereizt?
Zunächst einmal zu den Gerichtsentscheidungen. Daß das Verfahren verfassungsgemäß durchgeführt worden ist, habe ich immer angenommen. Ich habe die Klage der Grünen auch persönlich als Beleidigung aufgefaßt, denn als von 1980 bis 1985 mit der Braunkohleplanung befaßter Minister stand für mich immer außer Frage, daß mein Handeln auf einem verfassungsgemäßen Gesetz beruhte. Jetzt aber Gründe für die Braunkohle aus dem Urteil abzuleiten, ist abwegig. Das Gericht hat lediglich festgestellt, daß das Land solche Pläne aufstellen darf.
Die sachliche Prüfung ist damit keinesfalls erledigt. Solange der genehmigte Braunkohleplan in seiner jetzigen Form bestehen bleibt, ist es aber in der Tat kaum vorstellbar, daß die bergrechtliche Genehmigung des Rahmenbetriebsplans – von den wasserrechtlichen Fragen einmal abgesehen – nicht erteilt werden könnte. Die Landesregierung kann aber zu jedem geeigneten Zeitpunkt die energiewirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Kernannahmen des Projektes überprüfen. Wenn sie hierbei Entscheidendes geändert sieht, dann ist das Projekt rückholbar.
Ich würde es für gut halten, wenn die Landesregierung dieser Verpflichtung zur Überprüfung der Datenbasis noch einmal vor Genehmigung des Rahmenbetriebsplan nachkäme. Daß der Düsseldorfer Wirtschaftsminister ständig argumentiert, er dürfe gar nicht mehr eingreifen, macht die Debatte so unerfreulich. Das Gegenteil ist der Fall. Er ist verpflichtet, die Annahmen zu überprüfen. Alles andere wäre rechtswidrig.
Im Koalitionsvertrag haben sich beide Parteien zu einer Überprüfung nach dem Jahr 2000 bekannt. Ist Ihnen das zu spät?
Dann sollten sie es wieder tun. Ich halte die Überprüfung schon heute für geboten.
Die Betreibergesellschaft Rheinbraun und deren Konzernmutter RWE vermitteln unter tatkräftiger Hilfe führender Sozialdemokraten den Eindruck, als habe das Unternehmen jetzt einen Rechtsanspruch auf Genehmigung. Wenn der nicht erfüllt werde, sei auch das versprochene 20-Milliarden-Programm zur Verbesserung des RWE-Kraftwerksparks hinfällig.
Der Rechtsanspruch von Rheinbraun wird begrenzt durch das Landesplanungsrecht. Und danach können dem Abbau des Rohstoffes Braunkohle energiewirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte entgegenstehen. Wenn entgegenstehende Gründe dominieren, erlischt der Anspruch des Betreibers. Ich werde fast wütend, wenn ich höre, das Kraftwerkserneuerungsprogramm sei eine ökologische Großtat zur Umweltentlastung. In Wahrheit ist es ein Programm zur Steigerung der Effizienz der Braunkohleverbrennung. Wenn Rheinbraun diese Wirkungsgradverbesserung tatsächlich zur Reduzierung der verbrannten Braunkohlemenge nutzen wollte, wäre Garzweiler II so überflüssig. Doch darum geht es dem RWE ja nicht. Es will noch mehr Braunkohle verbrennen und mit der zusätzlichen Strommenge andere Energieträger verdrängen. Die Markteintrittschancen für alternative Energieträger würden damit in noch weitere Ferne gerückt.
Metall- und Bergbaugewerkschaften sehen Tausende Arbeitsplätzen bedroht, so das 20-Milliarden-Programm ausfällt.
Auch ohne Garzweiler II steht mit den genehmigten Tagebauen Hambach, Inden und Garzweiler I Braunkohle bis weit in die Mitte des nächsten Jahrhunderts in ausreichendem Maß zur Verfügung. Allein bis zum Jahr 2020 jährlich mehr als 70 Millionen Tonnen. Der Kraftwerkspark muß ohnehin erneuert werden. Mit Garzweiler II würde die auf Braunkohleverstromung basierende Struktur der Energieerzeugung auf Dauer ganz stark festgeschrieben. Das halte ich für falsch. Statt dessen sollten wir uns bemühen, die dezentrale Stromerzeugung auf Basis der regenerativen Energien – Sonne, Wind, Wasser – zu forcieren. Es spricht einiges dafür, daß diese Formen der Energieerzeugung im Saldo möglicherweise mehr Arbeitsplätze schaffen als die Erzeugung von Strom in Großkraftwerken.
Warum kommt man mit diesen Argumenten in der nordrhein- westfälischen SPD nicht durch?
Weil bei vielen Verteidigern des bisherigen Weges die Philosophie herrscht, der Spatz in der Hand ist mir lieber als die Taube auf dem Dach. Garzweiler II würde ab dem Jahr 2006 einige tausend Arbeitsplätze sichern – auch in der Kraftwerksindustrie. Was der von mir vorgeschlagene Weg bringt, ist dagegen noch nicht eindeutig berechenbar, und deshalb fällt die Zustimmung gewiß schwerer. Hinzu kommt, daß der sozialdemokratische Teil in der Düsseldorfer Regierung es nicht wagt, bei der Umsetzung einer ökologisch orientierten Energiepolitik in Konflikt mit dem daran kaum interessierten RWE-Konzern zu geraten.
Einige sozialdemokratische Mandatsträger, die die Anzeige gegen Garzweiler II unterzeichnet haben, geraten vor Ort inzwischen stark unter Druck. In Dortmund muß Ulla Burchardt gar fürchten, in ihrem Bundestagswahlkreis nicht wieder aufgestellt zu werden. Wäre das nicht ein fatales Signal gegen die innerparteiliche Demokratie in Ihrer Partei?
Ich selbst bin am 4. Juli 1995 vom nordrhein-westfälischen Finanzminister und SPD-Bezirksvorsitzenden Heinz Schleußer wegen meiner Garzweiler-Position aufgefordert worden, von meinem Amt als stellvertretender Landesvorsitzender zurückzutreten. Ich habe auch deshalb nicht wieder kandidiert.
Es ist schon so, daß die nordrhein-westfälische SPD-Führung mitunter eine merkwürdige Auswahl bezüglich der für sie gültigen Parteibeschlüsse trifft. Manche sollen still und leise in der Mottenkiste verschwinden, andere werden geradezu zu unangreifbaren Glaubensbekenntnissen hochstilisiert. Das mehrheitliche Bekenntnis zu Garzweiler II gehört zur letzteren Kategorie. Wer hier öffentlich widerspricht, wird hart attackiert. Da werden schon bedenkliche Mängel an innerparteilicher Demokratie sichtbar.
Ende des Jahres fällt in Düsseldorf wahrscheinlich die Entscheidung über den Rahmenbetriebsplan. Daran könnte die rot-grüne Koalition zerbrechen. Sehen Sie noch einen Weg, den Crash zu vermeiden?
Ich rate dazu, sich an die Koalitionsvereinbarung zu halten. Darin steht, daß der Rahmenbetriebsplan die Überprüfung der Grundannahmen des Projektes und die Rückholbarkeit nicht verhindern darf. Ich würde eine Kabinettssitzung herbeiführen und diese grundlegende Überprüfung, ein entsprechendes langfristiges Kontrollprogramm dafür, jetzt festlegen.
Und Sie glauben, daß dann für beide Parteien, die Sozialdemokraten und die Bündnisgrünen, die Genehmigung des Rahmenbetriebsplans akzeptierbar wäre?
Ja, denn im Kern haben sich beide Partner zu diesem Vorgehen per Koalitionsvertrag verpflichtet. Interview: Walter Jakobs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen