piwik no script img

"Ich habe die Wahrheiten immer voll benannt"

■ Wirtschaftssenator Elmar Pieroth wehrt sich gegen die Kritik an seiner Amtsführung und fühlt sich für die verschleppte Finanzkrise der Stadt nicht verantwortlich. "Ich bin von der SPD und etwas

Elmar Pieroth (63) wurde erstmals 1981 Senator. Der aus einer Winzerfamilie stammende Politiker wurde vom damaligen Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker als Wirtschaftssenator nach Berlin geholt und baute in den achtziger Jahren erfolgreich die Gründerzentren auf. Nach der Ablösung des CDU-Senats durch Rot- Grün 1989 und dem Mauerfall wurde Pieroth Mitglied des Ostberliner Magistrats und anschließend 1991 Finanzsenator in der Großen Koalition. Seit dem Frühjahr 1996 amtiert Elmar Pieroth wieder als Wirtschaftssenator.

taz: Herr Pieroth, viele, auch aus der eigenen Partei, scheinen Ihnen die Lösung der Probleme nicht mehr recht zuzutrauen. Es gibt massive Kritik an ihrer Arbeit. Sie werden selbst in der CDU als Kandidat für eine Senatsumbildung gehandelt. Fühlen Sie sich davon verletzt, auch davon, daß so wenig von dem, was Sie vertreten, im Senat ankommt?

Elmar Pieroth: Nein, ich fühle mich nicht verletzt. Ich weiß ja, in welcher Schlußlichtrolle Berlin seit Jahren ist. Seitdem ich wieder Wirtschaftssenator bin, sind die Berliner Chancen wieder besser geworden und werden wieder besser genutzt als vorher.

Ich weiß, daß ich jetzt fünfzehn Jahre Senator bin. Deswegen billige ich jedem Menschen die Frage zu: Wie lange macht der noch? Aber auch wenn ich persönliche Pläne habe, mich in Osteuropa und den neuen Bundesländern mehr zu engagieren, stehe ich jetzt hier in der Pflicht. Dafür bin ich vier Jahre gewählt worden. Allein Berlin hat 240.000 Arbeitslose. Ich verstehe es, Wirtschaftspolitik zu konzipieren und sie den Menschen in den Betrieben nahezubringen. Deswegen lasse ich mich nicht irritieren, wenn es mal Kritik gibt.

Sie sind ständig unterwegs, besuchen Firmen und wollen Arbeitsplätze in die Stadt bringen. Doch Berlin legt bei den Jobs nicht zu, sondern fällt zurück gegenüber anderen Bundesländern. Betreiben Sie also nur hektischen Leerlauf?

Die Kritik, daß Berlin beim Wachstum seit 1993 die Schlußlichtposition unter allen Bundesländern hält, trifft mich nicht. Schließlich bin ich erst seit Januar 1996 wieder Wirtschaftssenator. Aber auch mein Vorgänger, Herr Meisner, konnte nicht über Nacht den Strukturwandel so beschleunigen, daß aus den teilweise künstlichen Arbeitsplätzen im Ostteil der Stadt und den subventionierten im Westteil schnell konkurrenzfähige Arbeitsplätze wurden. Meine Hauptarbeit ist deshalb nicht Hektik draußen, sondern das Helfen beim Reparieren in vielen Betrieben und das Motivieren von Berliner Existenzgründern hier – beispielsweise durch die Existenzgründerwerkstätten oder die Stadtraumkonferenz, um erfolgreiche Unternehmen zu finden. Die Masse der neuen Arbeitsplätze wird von den Menschen geschaffen, die hier beheimatet sind.

Diese Arbeitsplätze kommen aber nicht.

Es ist falsch zu sagen, die Arbeitsplätze kommen nicht aus der Stadt. Es haben im letzten Jahr 362.000 Menschen in Berlin einen neuen Arbeitsplatz gefunden – allerdings auch 382.00 den Arbeitsplatz verloren, was die Arbeitslosigkeit in Berlin um 20.000 erhöht hat. In den Gründerzentren sind aber in den letzten Jahren 8.400 neue Arbeitsplätze entstanden. Und schließlich sind auch Ansiedlungsentscheidungen auf unsere Marketingaktivitäten zurückzuführen, etwa bei der Coca-Cola- Zentrale oder bei der Charterfluggesellschaft Britannia. Die Zahl der wegfallenden alten Arbeitsplätze ist aber derzeit noch größer. Ich gehe aber davon aus, daß wir ab Herbst nächsten Jahres wieder mehr neue Arbeitsplätze schaffen als alte wegbrechen.

Es vermittelt sich der Eindruck, daß es keine Verbindung mit den anderen Ressorts im Senat gibt und Sie wenig Impulse für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik geben.

Konzeptionelle Überlegungen sind vorhanden, und sie werden auch geteilt im Senat: Gründer unterstützen, Berlin nach außen positiv darstellen und Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessern bis hin zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, damit die Arbeitskosten hier zurückgehen. Aber Sie haben recht: Ich war mit der einheitlichen Ausrichtung des Gesamtsenats auf mehr Arbeitsplätze in den achtziger Jahren sehr viel zufriedener als heute. Damals hatte ich viel mehr Unterstützung, damals sind auch andere Senatoren auf Messen gefahren. Heute haben wir einen Wissenschschaftssenator, einen Technologiesenator und einen Wirtschaftssenator – und ich darf als einziger zur Hannover-Messe fahren. Ich führe das auf die starken Belastungen aller Senatoren zurück. Ich sage mir allerdings auch, daß mir die Überzeugungsarbeit noch besser gelingen muß, daß jeder Senator sich als Arbeitsplatzsenator fühlt. Es reicht nicht, die Priorität Arbeitsplätze zu nennen, man muß auch danach handeln.

Wie wollen Sie das schaffen? Eine Kritik an Ihnen ist doch gerade, daß es Ihnen nicht gelingt, anderen Ressorts Konzepte vorzuschlagen, um in den jeweiligen Bereichen neue Arbeitsplätze zu stimulieren.

Ich versuche, den anderen Senatoren klarzumachen, daß Arbeitsplätze nicht nur von der Arbeitssenatorin und dem Wirtschaftssenator zu schaffen sind, sondern daß jeder Senator seine Auslandsreisen nutzt, um bei Unternehmen für den Standort Berlin zu werben. Als aber der Technologiesenator Strieder kürzlich vier Wochen in die USA reiste, hat er nicht einmal bei uns angefragt, was dort für Projekte laufen und wo er helfen könnte. Das hat mich ungeheuer geärgert.

Als vormaligem Finanzsenator ist Ihnen anzulasten, daß Sie die Finanzkrise der Stadt verschleppt und geschönt haben. Sie tragen Schuld an der Lage, in der sich die Stadt befindet. Den in ihrer Amtsführung schon überfälligen Kassensturz hat erst ihre Nachfolgerin Frau Fugmann-Heesing gemacht.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger sagte mir kürzlich, er würde anerkennen, daß es mir 1993 im Rahmen der Solidarpaktverhandlungen gelungen war, Westberlin in die Verteilung der Solidarpaktmittel einzubeziehen, so daß Berlin nicht 7,8 Prozent, sondern 19,5 Prozent, sprich: viereinhalb Milliarden Mark Anteil an dem Solidarpakt hat.

Aber selbst der Regierende Bürgermeister hat den zu schnellen Rückbau der Berlin-Unterstüzung beklagt...

Das ist natürlich seine politische Aufgabe. Und es ist nicht politische Aufgabe, aufzuzeigen, wie gut wir bei Verhandlungen abgeschnitten haben. Das ist das Los der Finanzpolitiker. Ich habe durch die Einbeziehung Westberlins erreicht, daß wir weitaus besser dastehen, als wir 1991, zu Beginn meiner Amtszeit als Finanzsenator, befürchtet hatten. Damals rechneten wir mit einem Rückgang der Bundesförderung von 16 auf 6 Milliarden. Heute liegen wir bei 8 Milliarden Mark Bundeshilfe.

Es nutzt jetzt wenig, darauf zu hinzuweisen, daß ich am Ende der letzten Legislaturperiode im September 1995 aufzeigte, daß jedes Jahr vier Milliarden Mark strukturell eingespart werden müsse, mithin zehn Prozent des Haushaltsvolumens. Es nutzt jetzt auch nichts, daran zu erinnern, daß ich noch fünf Tage vor der Wahl von Frau Stahmer von Klaus Landowsky angegriffen wurde wegen meiner Horroraussage, es müßten 25.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut werden. Ich habe allerdings die Lage immer so dargestellt, daß wir wieder gute Chancen haben, wenn wir unsere Sparleistung bringen. Möglicherweise sind dadurch die unangenehmen Forderungen, die ich stellte, nicht ganz so gehört worden. Aber ich habe die Wahrheiten immer voll benannt.

Frau Fugmann-Heesing ist es aber offensichtlich gelungen, mit ihrem Kassensturz mehr Glaubwürdigkeit zu gewinnen und zu sagen: So sieht's aus, es gibt nichts mehr zu verteilen.

Den Kassensturz hatte ich vor der letzten Wahl gemacht. Allerdings hat Frau Fugmann-Heesing mehr Unterstützung aus beiden Fraktionen.

Sie meinen, Sie sind auch von Ihrer eigenen Partei hängengelassen worden?

Frau Fugmann-Heesing hat mehr Untersützung aus beiden Parteien, nicht nur von der einen. Ich bin von der SPD und etwas von der CDU hängengelassen worden. Wir dürfen eines nicht vergessen: In den Jahren 91 und 92 kam es darauf an, unter der Überschrift „Aufbau Ost vor Ausbau West“ zunächst einmal viele Maßnahmen in Gang zu setzen. Zu einem solchen Zeitpunkt die Sparparolen als wichtigstes und erstes Anliegen zu bringen wäre bestimmt nicht angebracht gewesen.

Sie sind in der CDU einer derjenigen, der auf einen offeneren Umgang mit der PDS gesetzt hat. Steht Berlin für Bundes- und Abgeordnetenhauswahl wieder eine „Rote- Socken-Kampagne“ bevor?

Mit Sicherheit nicht. Und das sage ich keineswegs allein. Unser Fraktionsvorsitzender Klaus Landowsky sagt zu Recht, wir brauchen eine Wertediskussion. Wir müssen aufzeigen, daß der Unterschied zwischen der sozialistischen und unserer Idee nicht das größere Auto im Westen ist, sondern daß das Sytem mit der größeren politischen Freiheit auch die besseren ökonomischen Ergebnisse erwirtschaftet.

Man muß anerkennen, daß wir im Vereinigungsprozeß viele Fehler gemacht haben. Wir hatten ständig unsere Westsysteme, unser Sozialsystem, die soziale Marktwirtschaft, unsere Verwaltung zu erklären. Deswegen haben wir nicht darauf geachtet, was uns denn die Ostdeutschen Interessantes zu sagen hatten. Wir kamen nicht zum Zuhören. Und wir müssen heute erkennen, daß die Menschen aus den neuen Bundesländern vielfach die Wendeerfahrung den Westdeutschen voraushaben, die die Wende noch vor sich haben. Viele im Osten haben recht, wenn sie sagen: Zehn Jahre vor dem Fall der Mauer wußten wir, daß es so nicht weitergehen kann.

In Ihrer Partei ist nun aber von der Linksfront die Rede. Ist das nicht nur eine neue Verpackung für die Rote-Socken-Kampagne?

Nein, damit das ganz klar ist: Es geht um eine Werteauseinandersetzung und das Ringen um die Wähler, nicht um das Beschimpfen der Wähler als „rote Socken“. Und es gibt eine ganz klare Absage: Keine Koalition oder Koalitionshilfe durch die PDS, sondern Kampf gegen die sozialistische Idee.

Sieht die Bundes-CDU dies genauso?

Mit Beschimpfen gewinnt man keine Wahl auf Dauer.

Die CDU-Zentrale ist aber weiter weg. Dieselbe Kritik gab es ja schon bei der letzten Wahl.

Ja, die sind weiter weg, das macht den Unterschied aus. Wenn man aber fast täglich mit Menschen, die PDS wählen, zu tun hat, bemerkt man ebenfalls, was mein bayerischer Freund, der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Professor Faltlhauser, nach seinem ersten Gespräch in Hellersdorf zu mir gesagt hat: Wenn diese Menschen in München leben würden, würden die allermeisten die CSU wählen.

Nun steht Klaus Landowsky nicht so sehr für Integration und Zuhören, sondern eher für Polarisieren. Sie sind in Sachen PDS ein Einzelkämpfer in der CDU. Kürzlich gab es beispielsweise Kritik aus Bonn für Ihre Teilnahme bei der Jugendweihe.

Das waren bei der Jugendweihe nur ganz wenige. Aus der Partei gab es breite Unterstützung, von Diepgen über Landowsky. Kritik kam von einigen CDUlern aus der ehemaligen DDR, die es als Christen früher richtig schwerhatten. Das muß ich akzeptieren. Und Klaus Landowsky steht für polarisierte Auseinandersetzung, aber mit dem Ziel des Erreichens der Einheit. Und durch das fast tagtägliche Erleben in Hellersdorf habe ich natürlich mehr Erfahrung als andere. Interview: Barbara Junge

und Gerd Nowakowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen