■ Gerhard Schröder ist der Christoph Daum der SPD. Als Kanzler einer rot-grünen Koalition kann man ihn vergessen
: Der populistische Irrtum

„Wir können mit Law-and-order- Parolen nicht mit der CDU konkurrieren. Und – Gott sei Dank – schon gar nicht gewinnen.“ Gerhard Schröder, Juni 1994

Diese schlichte Einsicht kam Schröder nach dem Desaster der SPD bei der Europawahl 1994. Damals hatte die Partei auf Slogans wie „Sicherheit statt Angst“ und Anti-Mafia-Plakate gesetzt. Geholfen hat es nicht. Das Fiasko wiederholte sich 1996 in Baden-Württemberg, als die SPD mit Anti-Euro- und Anti-Aussiedler-Slogans Schiffbruch erlitt. Die Lehre: Der SPD nützt es nichts, mit rechtem Populismus zu kokettieren. Trotzdem führt Schröder das gleiche Stück nun noch mal auf. Sein Interview in Bild am Sonntag suggeriert: Deutschland wird unversehens von polnischen Autodieben und der Russenmafia bedroht, Schaumkronen auf einer Flutwelle von Kriminalität, die aus dem Osten nach Deutschland „schwappt“. Die Metaphorik verrät das Ressentiment: Wir, die braven Bürger, werden von außen bedroht. So tönt sonst Haider.

Neu ist, daß nun auch taz-Redakteure dieses schräge Lied nachsingen. Es ist ein Vorgeschmack auf die Publizistik der Ex-Linken, die als Ersatz-Regierungssprecher fungieren wollen, wenn Schröder erst mal an der Macht ist. Der trübe linke Rest in dieser Argumentation ist ein vulgärer „Leninismus“, dem die Mittel wurscht sind, wenn sie nur ans Ziel führen. Und das Ziel ist die Macht 1998. Egal, für welchen Preis. Mit Politik hat das wenig zu tun – mehr mit antiintellektuellen Stimmungen und der Sehnsucht, sich endlich im eigenen Volk (das man früher für faschistoid hielt) zu bewegen wie ein Fisch im Wasser. Die zentrale Frage kommt darin gar nicht vor: Was kann Rot-Grün 1998 leisten? Und ist das mit Schröder zu machen?

Schröder und die SPD

Ein Kanzlerkandidat Schröder ist das Versprechen, das strategische Dilemma zu beheben, in dem sich die SPD seit 15 Jahren befindet. Die Partei und ihre Wählerschaft zerfallen, grob gesagt, in zwei Teile: in ein eher konservatives Arbeitermilieu und ein liberales „angegrüntes“ Mittelschichtsmilieu. Wenn die SPD einen „grünen“ Kandidaten präsentiert, drohen ihr Stimmen Mitte-rechts zu fehlen. Kürt sie einen „traditionalistischen“ Kandidaten, wäre der als Kanzler einer rot-grünen Bundesregierung nicht glaubhaft. Dann bliebe ihr nur die trostlose Aussicht auf eine Große Koalition.

Schröder inszeniert sich in dieser verfahrenen Lage als Lösung: Er hat Erfahrung als Chef einer rot- grünen Landesregierung und kommt auch Mitte-rechts an. Ein anscheinend perfektes Modell: Schröder gewinnt die Wahl, indem er verspricht, Kohl-Politik mit rot- grüner Mannschaft zu machen. Denn das deutsche Wahlvolk ist konservativ wie kaum ein zweites: Seit 1945 hat es noch keine Regierung abgewählt. Die Rechnung hat nur einen Haken. Sie geht nur auf, wenn die Grünen sich mit der Rolle als einflußlose Mehrheitsbeschaffer abfinden.

Schröder und die Medien

Diese Skizze zeigt den rationalen Kern (und die Aporie) des Schröderschen Kalküls – maßlos verstärkt wird dieser Effekt durch die Medien. Von Bild bis Spiegel und Focus ertönt überall das gleiche Lied: Die SPD kann nur mit Schröder gewinnen. Allerdings ist bekannt, daß die Yellow-Press-Medien stets dem Mann gewogen sind, der gerade nicht der SPD- Kanzlerkandidat ist. Ein Kerl muß eine Meinung haben, wußte schon Alfred Döblin. Aber die Faszination für den Kerl Schröder wird umschlagen. Was heute kraftvoll scheint, wird als Unzuverlässigkeit gelten, sein heute allseits bewunderter Wille zur Macht als Unberechenbarkeit. Auch Bild wird auf die Frage kommen: Was will Schröder eigentlich? Und einen Kanzler, der seine Meinungen wechselt wie die Unterwäsche, will kein noch so parteienverdrossener Wahlbürger. Auch daß Schröder in Niedersachsen ein voluminöses Haushaltsdefizit angerichtet hat, wird der Springer-Presse zu gegebener Zeit auffallen.

Kurzum, daß die SPD mit Schröder gewinnt und mit Lafontaine verliert, ist vor allem eine mediale Inszenierung. Zur Erinnerung: 1990 scheiterte Rot-Grün an den Nachwehen von 1989, 1994 half Kohl ein kleiner Wirtschaftsaufschwung über die Runden. Daß Kohl auch 1998 ähnliches Glück hat, dafür spricht im Moment nichts. Dann hätte auch Lafontaine eine profunde Chance.

Schröder ist eine Art Christoph Daum der Politik: laut, auf Erfolg und Effekt getrimmt, koste es, was es wolle. Die Fußballklubs, mit denen Daum siegte, waren, nachdem Daum wieder verschwunden war, allerdings allesamt ausgelaugte Wracks. Den Grünen könnte es mit Schröder ähnlich gehen.

Schröder und Rot-Grün

Noch herrscht bei den Grünen die Illusion, Schröder sei ein Blatt, das sich nach dem Wind dreht. Man müsse nur kräftig genug pusten. Dagegen sprechen zwei Gründe: Zum einen ist keine gesellschaftliche Bewegung in Sicht, die Druck für Rot-Grün entfalten könnte. Zudem handelt Schröder strikt nach zwei Maximen: Was er sagt, muß in Bild stehen können – was er tut, darf nicht mit den Interessen der deutschen Industrie kollidieren. Und die Grünen sind für Schröder Sozialdemokraten, die in der falschen Partei gelandet sind. Darin ist er in der Tat der Erbe von Helmut Schmidt.

Schröder steht für die neoliberale Ökonomisierung der Politik. Das ist das exakte Gegenteil jener mühseligen Arbeit einer rot-grünen Regierung, die auch gegen die Industrie den finanziellen Handlungsspielraum des Staates wiederherstellen müßte. Lafontaine und Fischer ist dies zuzutrauen, Schröder und Fischer nicht. Das gleiche gilt für eine Ökosteuer, die ohne Benzinpreiserhöhung nicht zu haben ist. Mit dem Autolobbyisten Schröder wird daraus nichts.

Weil die ökonomischen Spielräume eng sind, wird sich Rot- Grün vor allem auf jene überfälligen Reformen (etwa des Staatsbürgerrechts) konzentrieren, die in der Koalition bisher an der CSU scheiterten. Doch auch dies – mehr Bürgerrechte und eine liberale Ausländerpolitik – ist, wenn man Schröders Bild-Interview liest, ungewiß. Und die soziale Ausgestaltung des Euro – das zentrale Thema nach 1998 – wird mit dem latenten Euro-Gegner Schröder zu einem gefährlichen Spiel mit nationalen Ressentiments.

So bleibt die Frage: Was verliert Rot-Grün, wenn es mit Schröder gewinnen sollte? Stefan Reinecke