: Eine Extremistin als Unschuldslamm
Die Menschenrechtsorganisation amnesty international ergreift Partei für eine ruandische Politikerin, die zu den höchstrangigen Mitorganisatoren des Völkermords von 1994 gehört ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Eine Mitverantwortliche für den Völkermord in Ruanda wird von der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in Schutz genommen. Per „Urgent Action“-Aufruf sind ai-Mitglieder bis zum 2. August aufgefordert, in Protestbriefen die Sicherheit von Agnès Ntamabyaliro einzufordern, Justizministerin Ruandas während des Völkermordes 1994.
Nach dem Ende des Völkermordes floh Ntamabyaliro nach Zaire und von dort nach Sambia. Dort wurde sie nach ai-Angaben am 27. Mai dieses Jahres von drei Männern in Uniformen der sambischen Einwanderungsbehörde mitgenommen. Seitdem sei sie verschwunden. Es sei möglich, so befürchtet ai, daß die Politikerin nach Ruanda verschleppt worden sei. Allerdings gebe es darüber „keine gesicherten Informationen“.
Auf der Liste der Völkermordverantwortlichen, die die heutige Regierung Ruandas nach ihrer Machtergreifung im Sommer 1994 erstellte, steht Ntamabyaliro auf Platz sechs. Aber im „Urgent Action“-Aufruf von ai wird die Rolle der Politikerin während des Völkermordes komplett unterschlagen. Der Aufruf stellt lediglich verkürzend fest, daß Ntamabyaliro und ihre Familie „zusammen mit Hunderttausenden anderen Ruandern im Juli 1994 aus Ruanda flohen, nachdem der Völkermord ausgebrochen war, der bis zu eine Million Leben kostete.“ Nach dieser Beschreibung könnte man Ntamabyaliro auch für ein davongekommenes Opfer halten.
Aber Ntamabyaliro war eine bekannte Extremistin in Ruanda. Das ehemalige Mitglied im Exekutivkomitee der früheren Einheitspartei MRND von Präsident Juvenal Habyarimana wurde nach der Einführung des Mehrparteiensystems 1990 Führungsmitglied der Liberalen Partei (PL), die Hutu wie Tutsi versammelte. Nach dem Friedensabkommen von August 1993 zwischen der Regierung und der Tutsi-Rebellenbewegung Ruandische Patriotische Front (RPF) betrieb ein radikaler Hutu-Flügel der PL, der unter anderem von Ntamabyaliro geleitet wurde, die Spaltung der Partei; auch in anderen Parteien formierten sich Hutu- Flügel, die jeden Kompromiß mit den Tutsi ablehnten. Dies führte Ende 1993 zum Zusammenbruch des Friedensabkommens. Die geplante Bildung einer Allparteienregierung – mit Ntamabyaliro als Handelsministerin – scheiterte; nach dem Tod von Präsident Habyarimana am 6. April 1994 begannen radikale Hutu-Milizen mit dem Völkermord an den Tutsi und gemäßigten Hutu. Zu diesem Zeitpunkt avancierte Agnès Ntamabyaliro zur Justizministerin der neugebildeten Übergangsregierung radikaler Hutu-Politiker, die die Massaker organisieren half.
Noch während diese Regierung Ende Juni 1994 vor der vorrückenden Tutsi-Guerilla RPF in den Westen Ruandas und dann über die Grenze nach Zaire floh, rief die Justizministerin Zeugenaussagen zufolge zur Fortsetzung der Massaker auf. „Wenn ihr mit der Ausrottung anfangt, darf nichts und niemandem verziehen werden“, soll sie in einer anstachelnden Ansprache per Megaphon gesagt haben.
Von all dem ist bei amnesty keine Rede. Gegenüber der taz kommentierte ein Sprecher der Londoner ai-Zentrale lapidar: „Es ist nicht unsere Angelegenheit, ob die Frau Völkermörderin ist oder nicht.“
Es ist nicht das erste Mal, daß amnesty international dubiose Figuren aus Ruanda in Schutz nimmt. 1990 und 1992 wertete die Organisation Gerichtsverfahren gegen Hassan Ngeze, Leiter der extremistischen Hutu-Zeitung Kangura, als politische Verfolgung. 1996 gab die Organisation 1996 ein „Urgent Action“ für den Journalisten Joseph Ruyenzi heraus, der der Vergewaltigung während des Völkermordes angeklagt war und verhaftet wurde. Amnesty wertete dies als „Muster der Verfolgung von Journalisten in Ruanda“ und hielt den Aufruf zu Ruyenzis Freilassung trotz der Anklageerhebung wegen Vergewaltigung aufrecht. Die Menschenrechtsorganisation African Rights fand heraus, daß Ruyenzi während des Völkermordes eine als Treffpunkt von Milizen berüchtigte Bar betrieben hatte. Der französische Historiker und Ruanda-Experte Jean-Pierre Chrétien folgert aus all diesen Fällen, daß ai „im Namen der Verteidigung politischer Gefangener hartnäckig Anhänger der Ideologie unterstützt, die 1994 in Ruanda zum Völkermord geführt hat“.
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