Regierung der Schriftsteller

Einkommen vor allem durch Bücher: Rußlands höchste Beamte müssen ihren Verdienst offenlegen, kreative Buchführung ist gefragt  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Nicht alle konnten es bis Anfang dieser Woche schaffen. Ministerpräsident Tschernomyrdin und der stellvertretende Sekretär des Sicherheitsrates, Boris Beresowski, veröffentlichten ihre Einkommens- und Vermögenserklärungen unmittelbar nach dem 20. Juli. Bis zu diesem Tag hatte Präsident Boris Jelzin alle hohen Staatsbeamten, sich selbst voran, per Ukas verpflichtet, ihre finanziellen Verhältnisse der Steuerbehörde und dem Volke darzulegen – zur Stärkung des Volksvertrauens in die Regierungsmannschaft.

Daß Ministerpräsident Tschernomyrdin – langjähriger Chef und vermuteter Großaktionär des gigantischen Erdgasmonopolisten Gasprom – über ein persönliches Vermögen von fünf Milliarden Dollar verfüge, diese in der Tageszeitung Iswestija verbreitete Behauptung hatte kürzlich ihren bisherigen Chefredakteur seinen Sessel gekostet. Was Beresowski betrifft – bis letztes Jahr einer der größten Anteilseigner bei der Erdölgesellschaft Sibneft, der Autoexportfirma Logovas und beim Fernsehkanal ORT – so stellte ihn das amerikanische Nachrichtenmagazin Forbes mit einem geschätzten Vermögen von drei Milliarden Dollar Anfang Juli auf Platz 93 unter den reichsten Leuten der Welt, noch vor Rockefeller und Rothschild.

Nun haben wir es schwarz auf weiß: Tschernomyrdin hat 1996 nur 8.000 Dollar verdient, Beresowski gibt für dasselbe Jahr zweieinhalb Milliarden Rubel Einkommen an, was normalerweise 432.000 Dollar entspräche. Diese Summe gibt allerdings Rätsel auf, da der Pressesekretär des stellvertretenden Sicherheitssekretärs erst diese Woche verlauten ließ, er wolle den Forbes-Bericht nicht dementieren. Die Wirtschaftszeitung Kommersant widmete ihm daraufhin die Überschrift „Der ärmste Milliardär der Welt“.

Immerhin: keiner der Staatsmänner der russischen Föderation besaß die Kühnheit, so zu tun, als hielte er ganz und gar nichts in den Händen, außer seinem offiziellen Monatsgehalt von umgerechnet wenigen hundert Mark. Die Kluft der erklärten Einkommen zu denen der Durchschnittsbürger ist groß genug. Damit sie nicht beschämend wirkt, haben sich die Politiker allerhand einfallen lassen. Vorschub dabei leistete ihnen wiederum der Präsident selbst, indem er lange laut überlegte, ob es wohl ratsam sei, von den Topbeamten auch die Offenlegung der Vermögensverhältnisse ihrer Familienmitglieder zu verlangen – was Jelzin schließlich verneinte.

Angesichts der wilden Entwicklung des russischen Marktes liegen für viele Menschen auch irreale Preise im Bereich des Möglichen. Bei Sicherheitsratsekretär Iwan Rybkin wundern sie sich dann aber doch. Er gibt den Wert seiner 176 Quadratmeter großen Wohnung getrost mit unter 100 Dollar an. In Anzeigen werden allerdings solche Zimmerfluchten in der gleichen Gegend (bei der Metro-Station Smolenskaja) mit weit über 200.000 Dollar gehandelt.

Bei näherem Studium der Einkommenserklärungen ist auch die Entdeckung einer neuen und äußerst eleganten Geldwaschmöglichkeit zu vermelden. Anstatt ein Spielkasino zu eröffnen, schreiben die Topbeamten lieber Bücher. Der Kreml entpuppt sich da als wahre Brutstätte für Literaten. Präsident Jelzin wird man gern glauben, daß er den größten Teil seines deklarierten Gesamteinkommens 1996 von 42.000 Dollar aus dem Verkauf seiner Memoiren erzielte. Was soll man aber von der Behauptung halten, derzufolge Alfred Koch, einer der Vizepremiers, für seinen potentiellen Staubfänger mit dem Titel „Privatisierung in Rußland, Ökonomie und Politik“ von einem kleinen Schweizer Verlag 100.000 Dollar Vorschuß erhielt? Eine allzu gründliche Überprüfung der genannten Angaben oder gar gerichtlichen Konsequenzen ist allerdings kaum zu befürchten. Unannehmlichkeiten könnten höchstens jene Offiziellen erwarten, die Jelzins Aufforderung überhaupt nicht nachkamen.

Die Steuerbehörde erklärte, daß sie sich außerstande sehe, die Angaben der Politiker anders als durch das Einsammeln von Dokumenten – zum Beispiel von Kaufverträgen – zu überprüfen. Eine andere Einstufung von Immobilien oder Wertgegenständen stünde außerhalb ihrer Möglichkeiten. Was möglichen Besitz der Toppolitiker im Ausland betreffe, so bestünden mit einer ganzen Reihe von Ländern nicht einmal Abkommen, mit deren Hilfe man ihn aufspüren könnte.

Darüber hinaus vertraute der Chef der Innenministeriumsabteilung für Wirtschaftsverbrechen, General A. Dementjew, der Komsomolskaja Prawda an, er halte es auch für „nicht korrekt, die Erklärungen von Leuten dieses Ranges zu überprüfen“. Immerhin führte dieser Zeitung zufolge Präsident Jelzins Geniestreich aber doch zu einer tröstlichen Einsicht: „Jedenfalls sind diese Leute keine Idioten, wenn sie unter den gegebenen Umständen nicht daran denken, ihre Taschen vor unseren Augen umzustülpen.“