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Der Glaube an Volk, Nation und Rasse

■ Der Historiker Peter Berghoff interpretiert den Nationalismus als Religionsersatz und erklärt, warum viele Menschen freiwillig für ihr Land töten und sterben

Seit sich vor allem in Europa eine Reihe neuer Nationalstaaten gebildet haben und sich die beiden deutschen Staaten wiedervereinigten, hat eine breite und kritische Auseinandersetzung mit der Nation und dem Nationalsozialismus eingesetzt. Dieser Nationalismus, ist der Eindruck, hat die während eines halben Jahrhunderts dominierenden Ideologien abgelöst. Damit scheint er fast nahtlos an seine Tradition bis in die 20er Jahre hinein anzuknüpfen, als er, wenn auch nicht konkurrenzlos, so doch tonangebend im politischen Geschehen war.

Mittlerweile gibt es eine Fülle an Literatur, die sich mit dem Phänomen des Nationalismus kritisch befaßt und akribisch nachweist, inwiefern es sich hier nicht, wie es seine Anhänger gern sehen würden, um eine quasi naturwüchsig gewachsene Staatsform handelt, und daß die Nation selbst alles anderes als ein historisches Kontinuum ist. Der Nationalstaat und seine Nation, ist der Grundton, sind Erfindungen, die relativ jungen Datums sind. Das Manko dieser Studien besteht jedoch darin, daß keine von ihnen zu erklären vermag, worin am Ende die mächtige Integrationskraft und die Attraktivität des Nationalismus liegt. Wenn es sich hier schon um soziale Erfindungen handelt, müssen schließlich auch, von strukturellen und ökonomischen Gesichtspunkten abgesehen, damit Bedürfnisse derjenigen Subjekte erfüllt werden können, die den „Körper“ der Nation zu bilden haben.

Dies ist die Frage, der sich Peter Berghoff, Mitarbeiter am Salmon- Ludwig-Steinheim Institut für deutsch-jüdische Geschichte, in seiner Studie widmet. Er macht darin die These der Konstruiertheit stark und nimmt trotzdem die Anschauungen des urwüchsigen bis metaphysischen Nationengedankens ernst. Seine These ist, im Anschluß an die Untersuchungen Eric Voegelins, so fruchtbar wie schlicht. Daß die Nation – und in ihrem Zuge auch Volk und Rasse – als eine Art geschichtliches Subjekt angesehen wird, das seine Substanz und Legitimation aus einem metaphysischen Herkommen bezieht, erklärt sich damit, daß der Nation als sinnstiftender Einheit ein religiöser Charakter zukommt; Berghoff spricht von „profaner Transzendenz“.

Ausgehend von einem Bedürfnis nach einer heilsmäßigen Erfüllung der Geschichte, also dem Verschwinden von Leiden und Zwang aus der Welt, kann der bekannte Prozeß der Säkularisierung nicht bloß bedeuten, daß Religion aus dem Leben des profanen Menschen verschwindet. Vielmehr muß sie in eine neue Gestalt überführt werden, die sich, nach der Aufwertung der profanen Menschen und deren Welt, im politischen Kollektiv selbst findet, das nun zum Subjekt der Geschichte avanciert. Heilsgeschichte wird auf diese Weise immanentisiert und Geschichte damit zu einem Gegenstand des Glaubens. Erst auf dieser Grundlage ist es möglich, der Nation den Charakter einer Herkunft aus dem Ursprung zu geben, der über Legende und Mythos hinausweist.

Nunmehr ist es die Nation, die als Gestalt und Geist die Menschen über die Zeiten und über ihre relative Vereinzelung als bürgerliche Subjekte hinweg verbindet; die Nation selbst wird zum Corpus mysticum. Vorgestellt wird sie als kollektiver lebender Körper, die Nation selbst ist ein Organismus, der die Sterblichkeit in Geschichte transformiert. Sie speist sich aus ihren Menschen und hebt diese gleichzeitig in sich auf, gibt ihnen in ihrer Dauer eine Dauer über den menschlichen Tod hinaus. So werden mit dem Bild einer metaphysischen Nationengedankens noch Träume von der Unsterblichkeit erfüllt, und der mystische Körper der Nation gerät zur paradiesischen Allegorie.

Das ist auch deshalb wichtig, weil die Toten im Kollektivphantasma selbst unbedingt in verbindung zu Lebenden bleiben müssen, „damit das, was die Lebenden bindet, nicht stirbt“ – nämlich das soziale und imaginierte Band, das einen Sinnbezug im sozialen und im metahistorischen Raum verbürgt. Berghoff bezeichnet dies als eine Vorstellung des „Über-Lebens“, worin sich nicht bloßes Weiterleben ausdrückt, sondern auch Beseelung des Lebens vor dem Tod und damit Teilhabe an einem überindividuellen Leben – dem der Nation als Substanz. So kann Berghoff am Ende sogar zu einem Versuch ausholen, den freiwilligen Tod im Krieg, den Heroenkult und den daran anschließenden Totenkult der Nation zu erklären. Der Tod des Soldaten ist dann ein Opfer, das der Nation als dem Corpus mysticum ihr Leben und ihr Recht erhält. Und der Kult um diese Toten unterstreicht jenes „Über- Leben“ in Form der Beseelung des Vitalzusammenhangs selbst, worin alle Geschlechter der Nation verbunden sind.

Berghoffs Lesart mag einer gängigen Sicht zuwiderlaufen, die noch immer die säkulare, rationale Gesellschaft unter keinen Umständen mit religiösen Topoi in Verbindung gebracht sehen will. Doch sie zeigt jenseits funktionalistischer oder massenpsychologischer Interpretationsweisen Wege auf, die die Phänomene Volk, Nation und Rasse in den Zusammenhang einer Interpretation von Welt stellen, die sich sowohl historisch begründet als auch zur Sinnstiftung verpflichtet ist. Am Ende bliebe nur ein weiteres Mal, Tucholsky zu zitieren: „Macht unsere Bücher billiger!“ Jörn Ahrens

Peter Berghoff: „Der Tod des politischen Kollektivs. Politische Religion und das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse“. Berlin 1997, Akademie Verlag, 220 Seiten, 78 DM

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