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Auswanderung als Streitfall

■ In Bremerhaven ist eine „Erlebniswelt Migration“geplant / Verein fühlt sich ausgebootet

uf seine Weise schön und meistens leer steht er da an Bremerhavens immer länger werdender Stromkaje: Der Columbusbahnhof in seinem 60er-Jahre-Schick und mit dem Zweck, im Sommer Passagiere für den Helgoland-Trip und für Kreuzfahrten umzuschlagen sowie manchmal vom Musikfest Bremen oder gar von Justus Frantz bespielt zu werden. „Das ist viel zu wenig“oder „Das Gebäude ist verwaist“wetteifern OrtskennerInnen und Lokalzeitung um die richtige Beschreibung der Situation. Das sieht auch eine gewisse „Arbeitsgemeinschaft Migrationsgeschichte Bremerhaven“(AGM) so. Ein „internationales Informations- und Dokumentationszentrum Auswanderung“möchte der kleine Verein hier einrichten – mit Ausstellungsraum und Info-Dienstleistung. Doch Stefan Knobloch von AGM sagt: „Man bootet uns aus.“Und schon landen wir mittendrin im Bremerhavener Sumpf.

Die Topographie

Der Columbusbahnhof markiert das etwas abgeschlagene nördliche Ende von Bremerhavens spektakulärstem Entwicklungsgebiet: Zwischen Weserstrand und Deutschem Schiffahrtsmuseum einerseits und dem Hochhausensemble des Columbuscenters andererseits planen das Land Bremen und die Frankfurter Köllmann-Gruppe die maritime Freizeit-Fabrik Ocean-Park. Im Verlauf der halb schleierhaften, halb offen präsentierten Vorbereitungen für dieses Infotainment-Zentrum ist das Thema Auswanderung zum Bestandteil des Projektes geworden. Eine „Erlebniswelt Auswanderung“soll jetzt mit dem Ocean Park kompatibel sein. Die Folge: Der außerhalb des vorgesehenen Geländes liegende Columbusbahnhof wäre aus dem Rennen. „Das erhöht die Realisierungschancen“, urteilen die einen – namentlich Bremerhavens Kulturdezernent Wolfgang Weiß. „Ein Skandal“, wettern die anderen – namentlich Stefan Knobloch und Co vom Arbeitskreis AGM. Und ohnehin, so scheint's, wettert man in Bremerhaven viel.

Die Geschichte der Geschichte

Alles hatte so nett angefangen. Hinter den Fassaden der Bremer Uni oder eines anderen Bremerhavener Vereins, dem Förderverein Deutsches Auswandermuseum, war Auswanderung schon länger Thema wissenschaftlicher oder anderer Formen geistiger Tätigkeiten. Doch abgesehen von Buchveröffentlichungen machte die im „Columbusjahr“1992 erstmals gezeigte Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“der Allgemeinheit richtig deutlich, daß die Geschichte Bremens und Bremerhavens eng mit der Auswanderung verknüpft ist. Zwischen 1820 und 1978 kehrten 20 Millionen Europäer der alten Welt für immer den Rücken – sieben Millionen von ihnen verließen Europa in Bremen oder Bremerhaven.

Die Ausstellung

Obwohl die Schau nach Angaben eines Beteiligten der ersten Stunde – Dirk Lembeck – im Eiltempo zusammengestellt worden war, mauserte sich „Aufbruch in die Fremde“in Bremen zum Erfolg. Auch als „sie“ihrerseits in die Fremde – genauer nach Ellis Island/New York, Dallas/Texas oder San Francisco/Kalifornien – aufbrach, glaubten die Verantwortlichen in Bremens Senatskanzlei und Bremerhavens Magistrat an ein langlebiges Produkt. Lembeck bekam den Zuschlag und baute die Schau rechtzeitig zur Wiedereröffnung im Mai 1995 in Bremerhaven auf, wo – sie floppte. „Die Stadt hat uns überhaupt nicht unterstützt“, kritisiert Lembeck und meint den Kulturdezernenten Wolfgang Weiß. „Der hat falsch kalkuliert und sich selbst versorgt“, kontert Weiß. „Stimmt nicht, und das kann ich belegen“, kontert wiederum Lembeck, der trotz allem an Bremerhaven und zusammen mit der besagten Arbeitsgemeinschaft Migrationsgeschichte (AGM) am Projekt Auswanderung festhält.

Die Ausstellung indes wurde im Mai 1997 unter anderer Leitung erneut wiedereröffnet und „trägt sich“, so Wolfgang Weiß, nicht zuletzt, weil ehrenamtliche HelferInnen die Kosten drücken.

Die Planung – ohne Gewähr

An den Planungen zum Thema Auswanderung wirken in Bremerhaven viele Menschen mit. Auftritt Dirk Schröder von der Expo-Projektgesellschaft in Bremen. Sie hat das Auswanderungs-Projekt als Bremer Beitrag für die Weltausstellung in drei Jahren in Hannover angemeldet und ist deshalb auch damit befaßt. Nach Schröders Angaben werde zur Zeit die Kooperation mit dem „Ocean-Park“favorisiert. Die vorgesehene, durch entsprechende Gutachten schon zum möglichen Renner gemachte „Erlebniswelt Auswanderung“würde dann zu einer Arbeitsteilung führen: Hier der Showteil und dort die wissenschaftliche und museale Aufbereitung. Wo die stattfinden und wer die bezahlen soll, ist Weiß zufolge allerdings noch fraglich. Fest steht bislang nur: „Der Columbusbahnhof“, so Weiß, „wäre gut, aber den kann man sich aus Geldgründen abschminken.“Ein ganzes Konsortium von Institutionen aus Bremen, Bremerhaven und Oldenburg wirkt an der Ausgestaltung mit – nicht dabei: die AGM.

Deren Mitglieder schimpfen. In einer jetzt veröffentlichten und im Gegensatz zu früheren Mitteilungen pointierten Presseerklärung wenden sie sich mit scharfer Kritik gegen das Erlebniswelt-Konzept: „Die AGM hält es für ausgeschlossen, daß man die historischen Fakten wie politische Flüchtlinge, Hungersnöte, Nazi-Vertriebene und Displayced Persons als touristische Großattraktion darstellen kann.“Und: „Alle Auswanderforschungsinstitute, mit denen wir in Kontakt stehen, teilen diese Einschätzung“, ergänzt Stefan Knobloch. Dazu Wolfgang Weiß auf Anfrage: „Diese Kritik ist berechtigt.“Und ohnehin, so scheint's, kritisiert man in Bremerhaven viel.

Vorläufiges Fazit

„Alle Verantwortlichen lehnen ein Gespräch mit uns ab“, bilanziert Stefan Knobloch die korallenhaft wuchernde bisherige Diskussion. Darauf Wolfgang Weiß: „Ich bemühe mich, als Moderator aufzutreten, doch wer wie AGM lauter wüste Rundumschläge veröffentlicht, darf sich darüber nicht wundern.“So reden sie in Bremerhaven. Und nicht wenige Auswärtige urteilen, daß es dafür andernorts keinen Vergleich gibt. Fortsetzung folgt. ck

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