piwik no script img

Informative Geisterstunde mit Gewürzdips

■ Zur Hamburger Speichernacht öffnen die Museen im Hafen bis ein Uhr früh

Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Ein weises Wort des armen Bert Brecht, das er für den Londoner Strandstreuner Mackie Messer geschrieben hat. Es gilt jedoch genauso für Hamburger Hafenstreuner und noch viel mehr für Kunst: Im Dunkeln sieht man nichts. Dessen ungeachtet haben sich die vier in der Speicherstadt ansässigen Museen entschlossen, am Wochenende ihre Häuser zu einer Zeit zu öffnen, in der man in Nächten ohne Mond nicht die eigene Hand vor Augen sehen kann. Ab 22 Uhr bis 1 Uhr morgens können Besucher in und um das Gewürzmuseum, das Deutsche Zollmuseum, die Titanic-Ausstellung und das Speicherstadtmuseum laufen.

„Wir nutzen die Gunst der Stunde“, erklärt Matthias Weiß vom Speicherstadt-Museum, „um über Geister als Medium Geschichte zu beleben.“TeilnehmerInnen der nächtlichen Führung werden u. a. dem Heizer eines längst stillgelegten Kraftwerks und einem Kaiarbeiter von 1890 begegnen – jener Zeit, als 20.000 Menschen von den Kehrwieder-Wandrahm-Inseln umgesiedelt wurden. Fiktion und Information sollen im Frühnebel eins werden, ab Mitternacht bluesig begleitet von Abi Wallenstein.

In den Räumen der Titanic-Ausstellung wird The Investigation begins, eine Dokumentation der Bergung des Titanic-Wracks, gezeigt. Während tagsüber in der Ausstellung nur Ausschnitte des Films (Kamera: Christian Petrant, der auch Im Rausch der Tiefe filmte) gezeigt werden, gibt es Samstagnacht die volle 100-Minuten-Version zu sehen. Holger von der Ley, der 1987 bei der vierwöchigen Expedition dabei war, wird im Anschluß an den Film – „geniale Bilder, aber amerikanisch wie eine Hollywood-Produktion“– von seiner Tiefseeerfahrung und den Diskussionen an Deck berichten.

Das Deutsche Zollmuseum zeigt einen Film ganz anderer Art: Sündige Grenze lautet der vielversprechende Titel des Streifens von R. A. Stemmle. Kaffeeschmuggelnde Kinderbanden der Nachkriegsjahre lassen Herzen überquellen und den Hauptdarsteller ein frühreifes Plädoyer für ein Europa ohne Grenzen halten. Im Gewürzmuseum werden neben den ständig zu riechenden 60 Gewürzen am Samstag Cracker mit hausgemachten Gewürzdips angeboten.

Die „Hamburger Speichernacht“als konzertierte Aktion ist eine schöne Idee; leider konnten sich die Museen aber nicht auf eine gemeinsame Eintrittskarte einigen, weshalb jeweils gezahlt werden muß. Die Karten kosten zwischen 6 und 30 Mark.

Christiane Kühl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen