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Coltrane schraubt wieder

■ Ohne Pause Jazz: Die Wiederbelebung eines vergessenen Genres – der Film als Endlosschleife im Nonstopkino Central

Früher gab es sie in England – und an Bahnhöfen. Bud-Spencer- Filme liefen dort ebenso wie Kung-Fu-Orgien, die Schulmädchen-Reporte oder Polanskis „Mieter“. Man kam, wann man wollte, setzte sich mitten hinein in die laufende Vorstellung und blieb – ein paar Stunden, den ganzen Tag. Nonstopkinos boten eine Heimstatt für Menschen, die schon am Morgen ziellos durch die Stadt stromerten und hier für ein paar Groschen angenehm aufgewärmt wurden. Im London der 60er Jahre kamen Drogen hinzu, und der endlos vorbeiziehende Film hatte dann auch psychedelische Wirkungen.

Bis auf ein einziges Lichtspielhaus in London sind mittlerweile alle Nonstopkinos geschlossen. Nun versucht sich das Central neben den Hackeschen Höfen an dem vergessenen Programmformat, das so seltsame Zeitschleifen zieht. Natürlich geht dabei heute alles sehr viel schneller, statt 24 Stunden „Buddy haut den Lucas“ wechseln sich jeweils zwei thematisch ähnliche Filme von 14 bis 18 Uhr ab. In diesem Monat geht es um Jazz, danach sind Reihen zu Comics, Philosophie, Sport und Heavy-/Speed-/Death-/Tech-Metal geplant.

Doch zunächst sieht „Jivin' in Bebop“ als Starter noch mehr nach Videoclip aus. Ende der vierziger Jahre völlig low-budget gedreht, sollte der Film mit Dizzy Gillespie und seinem Orchester Tanz-, Comedy- und Musiknummern verbinden. Auf einer einfachen Holzbühne plaudert Showmaster Freddie Carter ein bißchen mit Gillespie, dann geht der Vorhang hoch, und die Bigband bläst die eine oder andere Swingmelodie, zu der dann irrwitzige schwarze Steptänzer mit den Schuhen klappern. Langsam werden die Songs immer sexbesessener: Zu „Crazy about a man“ singt Helen Humes freudestrahlend von ihrem Mann, der bereits sämtliche Frauen in der Nachbarschaft glücklich gemacht hat; bei „Oop Bop She Bam“ wackeln zwei schlaksige Figuren wie Pudding, und für „Night in Tunesia“ hat sich der Choreograph eine Haremszene mit Schleiern, Masken und Peitschen ausgedacht. Offenbar gefiel Gillespie die lockere Atmosphäre ziemlich gut – bei „One Bass Hit“ sieht man den Bandleader recht unanständig mit den Hüften rocken und rollen.

„The Coltrane Legacy“ bewegt sich dagegen zielstrebig auf hochkulturellem Niveau. Nach dem frühen Herointod des 1926 geborenen Saxophonisten stellt der Film in Interviewpassagen mit den ehemaligen Coltrane-Musikern Jimmy Garrison, Reggie Workman und Elvin Jones ein Porträt zusammen, in das sich diverse Live-Mitschnitte von Fernsehkonzerten fügen.

Die ersten Aufnahmen gehen auf das Jahr 1959 zurück, als Coltrane noch in der Band von Miles Davis spielte. Davis tritt allerdings nur am Rande des Geschehens auf, während er einigermaßen unwirsch zusehen muß, wie sich sein Mitmusiker durch den Groove von „So What“ schraubt. Später bleibt neben den Improvisationen von Coltrane kaum mehr Platz für andere Solisten: „Impressions“ etwa besteht aus einer Saxophon- Figur, die sich minutenlang hinzieht, quietscht und schreit. Nur ab und zu häkelt McCoy Tyner ein paar elegante Akkorde auf dem Klavier in Coltranes Free-Jazz- Teppich.

Der Film kommt der Mythenbildung sehr entgegen. So erklärt der ehemalige Coltrane-Schlagzeuger Elvin Jones mit leuchtenden Augen, daß sein Chef vermutlich von einem anderen Planeten gekommen sein muß, vielleicht war er auch ein Engel zu Besuch auf Erden. „The Coltrane Legacy“ nimmt den leuchtenden Pfad in die schwarze Musikgeschichte begeistert auf: Bruchlos geht es von solcherlei Erinnerungen zurück ins Studio, wo Coltrane tatsächlich über Zeit und Raum zu herrschen scheint – oder wie sollte man sonst seine atonalen Ausbrüche erklären?

Zu diesen Bildern paßt eine Anekdote von Jones: Weil die meisten Fernsehshows auf 30 Minuten Sendezeit begrenzt waren, mußte sich jede Band bei der Länge ihrer Stücke der Übertragung unterordnen. Manchmal konnte Coltrane aber ganz einfach nicht mehr aufhören mit dem Spiel. Dann wurde der Produktionsleiter nervös, und der Tonmann begann die verbleibenden Minuten zu zählen – den Mikrofongalgen ruhig in der linken Hand.

„Wann immer man Coltrane begegnete, war er ausgeglichen, friedlich und still“, schildert Jones seine Backstage-Erfahrungen von damals, während die Kamera kaum merklich über einem alten Porträtfoto von John Coltrane kreist. Dort sitzt er auf einer Treppe und starrt nur ins Leere. Harald Fricke

Bis 6. August „Jivin' in Bebop“ und „Carnegie Hall Salutes The Jazz Masters“; 7.–13. August „The Sound of Jazz“ und „The Coltrane Legacy“, jeweils 14 bis 18 Uhr im Central, Rosenthaler Straße 39

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