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Die Absperrung ist fast normal

Israel hat die palästinensischen Gebiete nach dem Selbstmordanschlag wieder abgeriegelt. Nach Jerusalem kommt man nur mit Genehmigung  ■ Aus Ramallah Georg Baltissen

In der sogenannten B-Zone zwischen Jerusalem und Ramallah, in der die Palästinenser die Zivilverwaltung und die Israelis die Sicherheit kontrollieren, haben zwei israelische Soldaten eine provisorische Straßensperre errichtet. Ein schmales Nagelbrett zwingt den ohnehin spärlichen Autoverkehr zum Anhalten. Mit betonter Lässigkeit werden die Papiere kontrolliert.

Ein paar Kilometer weiter, in der Innenstadt von Ramallah, herrscht fast alltägliche Geschäftigkeit. Ja, es seien ein paar Autos weniger in der Stadt, sagt Fuad, Verkäufer von Goldschmuck. Die israelischen Sperren seien schon hinderlich. „Ich bin heute morgen aus Nablus gekommen“, sagt er. „Um sechs Uhr bin ich los, um halb zehn war ich hier.“ Die israelischen Kontrollpunkte hat er jeweils zu Fuß umgangen. Und zwischendurch ist er ein Stück des Weges mit einem Sammeltaxi gefahren. Kunden hatte er heute noch keine. Daß es in den nächsten Tagen besser wird, erwartet er nicht. Die Menschen aus den umliegenden Dörfern kommen ja jetzt nicht mehr in die Stadt, meint er.

Ein knapp 40jähriger Mann steht vor seinem Lebensmittel- und Zeitschriftengeschäft in der zentralen Rubaq-Straße. „Es ist schon fast eine normale Situation“, meint er. „Erst Anschläge, dann ein paar Wochen Absperrung. Und dann wieder Normalität. Was sollen wir machen?“ fragt er schulterzuckend. In Ramallah sei es wirtschaftlich nicht so schlimm, fügt er hinzu, weil ja viele bei der Autonomiebehörde arbeiten würden.

Der 27jährige Ahmed hat heute morgen zweieinhalb Stunden gebraucht, um von seinem Dorf aus in einen Videoladen an der Menara, dem zentralen Rondell in Ramallah, zu gelangen. Im Gegensatz zum Geschäftsmann beklagt er sich bitterlich über die schlechte wirtschaftliche Lage. Sein Boß überlege sich, den Laden dichtzumachen und nach Jerusalem zurückzugehen. Ahmed hat bis vor drei Wochen auf dem Bau in Israel gearbeitet. „Aber lieber 30 Shekel am Tag in Ramallah, als 150 in Israel“, sagt er. Ein Visum, um im Supermarkt seines Bruders in den USA zu arbeiten, habe ihm das amerikanische Konsulat verweigert. Weil er nicht verheiratet sei, sagt er. Aber zum Heiraten fehle ihm das Geld. „Wir haben nichts zu verlieren“, fügt er vielsagend hinzu. Zwei seiner Brüder seien aufgrund der Absperrung an der Arbeit in Israel gehindert. Dabei brauche die 13köpfige Familie jeden Shekel.

Vor einem Café ist eine Gruppe Jugendlicher in heftige Diskussionen verwickelt. Ein palästinensisches Fernsehteam ist aufgefahren. Der erst 14jährige Hodeida findet den Hamas-Anschlag in Jerusalem sehr gut. „Eine ausgezeichnete Operation“, sagt er in jugendlichem Überschwang. Aber auch der 30jährige Sadiq, der schon im israelischen und palästinensischen Gefängnis gesessen hat, erklärt, obwohl er nicht Hamas-Anhänger ist, wie er betont: „Es gibt keine andere Möglichkeit, um sich gegen die Israelis zu wehren. Sie bauen weiter Siedlungen und beschlagnahmen unser Land. Sie wollen keinen Frieden.“ Im Gefängnis sei er in beiden Fällen gewesen, weil er „Operationen“ gegen Israel ausgeführt habe. Mehr will er nicht sagen.

Angesprochen auf die Korruptionsvorwürfe gegen die Autonomiebehörde, sagt Sadiq: „Das sind alles Diebe.“ Und ein anderer pflichtet ihm bei: „Die müßte man aufhängen.“ Das Wort „Diebe“ veranlaßt einen zuhörenden Geheimdienstmann zum Eingreifen. Die Ausweise der ausländischen Journalisten werden höflich, aber penibel kontrolliert. Es folgt eine Belehrung darüber, daß es zwar Probleme in der Autonomiebehörde gebe, die gegenwärtig diskutiert würden, aber keine „Diebe“.

Die Gruppe Jugendlicher hat sich währenddessen zerstreut. Ein Palästinenser, der die Journalisten in seinen Laden zieht, sagt. „Jeder hat doch das Recht, seine Meinung zu sagen.“

Am israelischen Checkpoint in Jerusalem bleiben die üblichen Schlangen aus. Der Verkehr ist spärlich, weil nur wenige Personen die erforderliche Ausnahmegenehmigung haben, um in die Stadt zu gelangen. Siedler aus der Westbank dürfen natürlich passieren. Selbst den Mitarbeitern der Autonomiebehörde ist die Genehmigung bis auf weiteres entzogen worden.

Beim Einkauf in Ost-Jerusalem klagt ein Lebensmittelhändler, die Geschäfte gingen so schlecht wie noch nie. „Keiner will mehr etwas kaufen“, so sein Resüme. Auch im Suq der Altstadt bleiben die Kunden aus. Und die flanierenden Touristen kann man an einer Hand abzählen. Vor dem Damaskustor steht ein ausgebrannter VW Golf. Die israelische Grenzpolizei hat eine Sperre errichtet. Erst vor 20 Minuten, sagt ein israelischer Soldat, ist hier ein Mietwagen in Brand gesetzt worden, der zuvor gestohlen wurde. Ein untrügliches Zeichen wachsender Spannung in der Stadt.

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