■ Schröder und Lafontaine wollen an die Macht – aber wozu?: Ungedeckte Schecks
Noch vor zwei Jahren schien die SPD von einem Desaster ins nächste zu taumeln. Die zerstrittene Troika – Scharping, Schröder, Lafontaine – erschien wie eine Persiflage des früheren SPD-Gespanns Brandt, Wehner, Schmidt. Die egozentrischen „Enkel“ waren nicht in der Lage, die Partei zu einen.
Die Wende zum Guten ging still vonstatten – und fertig brachte sie ausgerechnet der Lauteste des sozialdemokratischen Trio infernal. Oskar Lafontaine putschte 1995 in Mannheim gegen den Parteivorsitzenden Scharping. Damals glaubten viele, daß dies die SPD endgültig ruinieren würde. Denn Lafontaine galt als politisches Enfant terrible, der mal gegen die Nato, dann gegen Aussiedler und den Euro votierte. Doch Lafontaine hat die Partei befriedet. Keine via Medien ausgetragenen Hahnenkämpfe mehr, dafür gewinnt die SPD in die Wählergunst.
Dieser Höhenflug der SPD ist nicht nur das Ergebnis von Kohls Schwäche. Er basiert auf einem Rollenwechsel. Lafontaines früheren Part spielt nun Schröder, immer gut für einen abrupten Rechtsschwenk, für populistische Anti-Euro- oder Anti-Ausländer-Töne. Lafontaine hingegen gibt sich unauffällig und integrativ. Ein Mann der linken Mitte, gemäßigt im Ton, fast blaß. Schröders rabulistische „Kriminelle Ausländer raus, aber schnell“-Parole kommentierte Lafontaine gestern diplomatisch: Kein öffentliches Wort gegen Schröder, dafür betont der Parteichef, wie wichtig ihm die Integration von Einwanderern ist. Ein Sound, der an Genscher erinnert: möglichst wenig sagen, möglichst viel erreichen.
Auch daß Schröder und Lafontaine nun zusammen wandern, so wie es Männerfreunde halt machen, demonstiert: Die SPD will gewinnen. Diese neue Disziplin fußt (bei Lafontaine) wohl auf der Erkenntnis, daß 1998 die letzte Chance ist, daß seine Generation an die Macht kommt. Bisher hat das Spiel perfekt funktioniert – der „linke“ Lafontaine stabilisiert die Partei, Schröder sammelt rechts Punkte.
Doch diese Doppelstrategie, die im Grunde zwei unvereinbare politische Versprechen als ein Konzept verkauft, ist langfristig ein ungedeckter Scheck. Ein Kanzlerkandidat Schröder, der sich rechts profiliert, würde nicht nur Rot-Grün so gut wie unmöglich machen. Auch die SPD wird kaum stillhalten, wenn erst der Kanzlerkandidat Schröder populistisch auf die Pauke haut. Und der Konflikt zwischen Kanzler Schröder und der Partei könnte eine verschärfte Neuauflage des Zwistes zwischen Helmut Schmidt und der SPD werden. Kurzum, gut ein Jahr vor der Wahl ist klar: Die SPD will die Macht. Nur wofür, das weiß sie selbst noch nicht. Stefan Reinecke
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