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Freispruch verlangt

■ Verteidiger sprechen von maßlosem Strafmaß für Ex-Politbürochef Krenz

Berlin (AFP) – Die Verteidiger des früheren DDR-Staats- und Parteichefs Egon Krenz fordern Freispruch für ihren Mandanten im Politbüro-Prozeß. Vor dem Landgericht in Berlin sagte Anwalt Robert Unger gestern, es gebe keinen Hinweis auf eine individuelle Schuld von Krenz für die Erschießung von Flüchtlingen an der DDR-Grenze. Dabei verwies er darauf, daß die DDR und damit auch das Politbüro in Fragen der Grenzsicherung nicht souverän gewesen seien. Nach seinen Ausführungen war die Sowjetunion für das Grenzregime mit den Anweisungen zur Fluchtverhinderung verantwortlich. Der Staatsanwaltschaft, die elf Jahre Haft für Krenz wegen Totschlags gefordert hatte, hielt er vor, historische Zusammenhänge außer acht zu lassen. Das Verfahren gegen Krenz und zwei weitere Ex-Mitglieder des SED-Politbüros prangerte die Verteidigung erneut als politischen Prozeß an.

Unger und der zweite Verteidiger von Krenz, Dieter Wissgott, begründeten ihre Forderung nach einem Freispruch auch damit, daß eine Verurteilung gegen das sogenannte Rückwirkungsverbot verstoßen würde. Demnach kann ein Angeklagter nicht wegen einer Tat verurteilt werden, die zum Tatzeitpunkt nicht strafbar war.

Auch warfen beide der Staatsanwaltschaft vor, einseitig zu ermitteln. Entlastende Akten und Zeugen würden ignoriert. Unger betonte: „Verfolgt wird hier der politische Gegner mit den Mitteln des Strafrechts.“ Wissgott sagte, die Angeklagten und ein Großteil der DDR-Bürger hätten das bedrückende Gefühl, „daß die Bundesrepublik über ihnen zu Gericht sitzt“. Mit Blick auf den Einfluß der Sowjetunion sagte Unger, die DDR habe „nicht einmal die Wahlfreiheit ihrer Existenz gehabt“.

Für Moskau sei es vitales Interesse gewesen, einer Destabilisierung der DDR durch Fluchten über die Grenze entgegenzuwirken. Die DDR sei bei allen militärischen und militärtechnischen Fragen nicht souverän gewesen. Wissgott betonte, neben der individuellen Schuld könne Krenz auch keine Schuld als Hintermann nachgewiesen werden. Es gebe keine Hinweise darauf, daß das Politbüro die Todesschüsse explizit gebilligt hätte.

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