Der Euro kommt, die Wall Street boomt

■ Ein Gewimmel gegensätzlicher Interessen bestimmt den Dollarkurs

Wenn die Herde erst mal ins Rennen gekommen ist, poltern alle in wildem Galopp in eine Richtung. Derzeit läuft an den internationalen Devisenmärkten die Dollarstampede. Von dem Tief von 1,35 Mark vor zweieinhalb Jahren stieg er vor allem seit Anfang 1997 auf gestern gut 1,87 Mark, dem höchsten Stand seit 1989.

Es gibt durchaus reale Gründe für eine starke US-Währung: Die Unternehmen in den USA haben in der Krise der letzten Jahre rücksichtslos rationalisiert und verdienen jetzt hervorragend. Von der Angst vor den japanischen Konzernen Anfang der 80er Jahre spricht keiner mehr. Der stetige Abwärtstrend des Dollar seit dem Vietnamkrieg, aufgehalten nur durch die Kreditaufnahmen Ronald Reagans für sein Star-Wars- Programm, scheint umgekehrt, weil die USA als wettbewerbsfähiger denn je dastehen.

Weil die Arbeitslosigkeit auf sehr niedrigem Niveau angelangt ist, verwirklichen nun auch eher pessimistische Konsumenten in den USA lange gehegte Kaufwünsche. So dürfte die Wirtschaft in den nächsten Monaten noch einen weiteren Schub erhalten. Außerdem steigen die Aktienkurse an der Wall Street munter weiter und ziehen dadurch immer neue Milliarden ins Land; ausländische Anleger profitieren in den USA doppelt – nicht nur durch die stärkeren Kurssteigerungen, sondern auch durch den Wechselkurs. Schließlich kaufen sie die Aktien in Dollar. Durch diese Faktoren bleibt die Nachfrage nach Dollar hoch und treibt so den Kurs weiter.

„Den wichtigsten Grund für den derzeitigen Dollarboom sehe ich allerdings in der Europäischen Währungsunion“, meint Michael Lewis, Währungsexperte der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell in London. Bisher trauen die internatonalen Währungshändler den Beteuerungen von Bundesbank und Politikern nicht, daß der Euro eine harte Währung wird und die Europäische Zentralbank unabhängig von den Regierungen schalten und walten kann. Dazu paßt auch, daß das britische Pfund gegenüber der Mark stark gestiegen ist; die Briten wollen nicht von Anfang an bei der Währungsunion dabeisein.

Doch nicht nur die starke US- Wirtschaft und Euro-Spekulationen puschen den Dollar. „Da spielen auch psychologische Faktoren eine Rolle“, so Michael Lewis. In den letzen Monaten galt 1,85 Mark für den Dollar als Schallmauer. „Wo nun diese Grenze durchbrochen ist, testen die Akteure am Devisenmarkt die Bundesbank“, beobachtet Lewis. Ewig kann diese die Mark nicht fallenlassen, weil sonst die Preise für importierte Güter zu sehr steigen und damit das droht, was die Bundesbank nach eigener Aussage am meisten fürchtet: eine höhere Inflation.

Sobald die Bundesbank die Zinsen hebt, werden die Devisenspekulierer ihre Liebe zum Dollar neu überprüfen. Damit würden die deutschen Zentralbanker allerdings Kredite im Inland verteuern und damit die ohnehin kaum in Schwung kommende Konjunktur hierzulande bremsen. Und für die Mark würde es vielleicht wenig bringen: Die US-Notenbank könnte bald ihrerseits die Zinsen steigern und damit den Dollar weiter antreiben, weil das Wirtschaftswachstum dort zu stark zu werden droht. Wenn die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten zu stark erhöhen, brechen die Profite irgendwann wegen eines Überangebots an Waren ein, und die nächste Krise kommt. Bei den derzeitigen sechs Prozent Wirtschaftswachstum in den USA sehen viele Experten die kritische Größe erreicht, ab der die Zentralbank bremsen sollte. Reiner Metzger