piwik no script img

Obdachlosenärzte werden obdachlos

■ Die Armenambulanz soll aus dem frisch renovierten Hauptbahnhof ausziehen. Finanzierung läuft aus, die Zukunft ist ungewiß. Ärztekammerpräsident Huber fordert vier feste Armenpraxen in der Stadt

Die wichtigste Obdachlosenambulanz der Stadt steht vor dem Aus. Die Deutsche Bahn AG möchte für die „Obdachlosenambulanz Hauptbahnhof“ künftig keine Räume mehr im frisch renovierten Hauptbahnhof zur Verfügung stellen – und die weitere Finanzierung des Hilfsprojekts für Menschen, die kaum ärztlich versorgt werden, steht in den Sternen. Das wurde auf einer Veranstaltung der „Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges“ am Montag abend bekannt.

Bisher wurden die Personalkosten der Armenpraxis größtenteils aus den Mitteln der Arbeitsförderung vom Finanzamt getragen. Doch diese Finanzierung läuft nach vier Jahren zum 30. April aus. Der Trägerverein MUT, eine Tochter der Berliner Ärztekammer, hofft nun auf Senatsmittel, die von der Liga der freien Wohlfahrtsverbände verwaltet werden. Insgesamt stehen 420 Projekten hier 48 Millionen Mark zur Verfügung. Doch soll der Betrag für die Liga 1998 um fünf Prozent gekürzt werden, und die Konkurrenz um das Geld ist sehr groß: „Ein positiver Entscheid für den Hauptbahnhof würde einen negativen für ein anderes Projekt bedeuten“, kündigte Peter Bargstedt von der Sozialverwaltung an.

Außer der Armenpraxis im Hautpbahnhof wird über die Liga noch eine Ambulanz in Pankow und ein Arztmobil für Obdachlose finanziert. Stundenweise stehen Ärzte an weiteren Orten zur Verfügung. Doch Berlin benötige nicht weniger, sondern mehr Hilfe für Arme, meinte der Präsident der Berliner Ärztekammer. Mit ihren 20.000 bis 40.000 Obdachlosen brauche die Stadt vier voll ausgestattete Ambulanzen an den Brennpunkten der Armut.

In den drei Jahren ihres Bestehens beriet die Ärtzin Jenny De la Torre, die die Armenpraxis mit vier Krankenschwestern betreibt, insgesamt 12.000 Hilfsbedürftige. Vor allem Wunden und gravierende Hautkrankheiten quälen die Obdachlosen. Oft suchten die Patienten erst die Abmulanz auf, wenn die Freunde nicht mehr mit ihnen trinken wollten.

Viele der „nicht wartezimmerfähigen“ Obdachlosen könnten sich zu Sprechstunden außerhalb der Bahnhöfe nicht aufraffen, sagte De la Torre. Zwei Drittel ihrer Patienten hätten keinen Krankenschein. Aus Stolz, Unwissenheit oder weil sie illegal in Deutschland leben, lassen sie sich nicht übers Sozialamt versichern. Als Obdachlosenärztin habe sie auch die „Verbindungsrolle, die Menschen zu integrieren“, sagte De La Torre. Ein Drittel könne sie zum Gang ins Sozialamt motivieren. Die Ambulanz beschafft auch frische Kleider und regelt die Einweisung in die Schöneberger Desinfektionsstelle oder in die Krankenwohnungen in die Magdalenenstraße.

Daß diese in Zukunft aber auch weiterhin im Hauptbahnhof stattfindet, ist wenig wahrscheinlich. Das Deutsche Rote Kreuz, das die Räume von der Bahn AG mietet, überläßt diese dem Trägerverein MUT nur bis Jahresende. Und auch Marlene Schwarz, Sprecherin der Bahn AG, sagt, eine solche Einrichtung sei in der künftig umgestalteten Eingangshalle „nicht vorgesehen“. Für MUT-Geschäftsführerin Helga Schick ist es kein Wunder, „daß die sich für ihren schönen Bahnhof was anderes als die Obdachlosen vorstellen“. Basil Wegener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen