: Flußbetten als illegale Baugebiete
■ Überschwemmungsunglücke wie vor einem Jahr in den Pyrenäen können sich in Spanien jederzeit wiederholen
Madrid (taz) – An 25.000 Stellen wurden in Spanien ausgetrocknete Flußbetten rechtswidrig bebaut. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die gestern vom spanischen Verband der Umweltschutzgruppen (Coda) vorgestellt wurde. Als Anlaß diente der Jahrestag des Überschwemmungsunglücks auf dem Campingplatz Las Nieves in Biescas in den spanischen Pyrenäen. Bei der plötzlichen Überflutung des Platzes hatten am 8. August vergangenen Jahres 87 Menschen ihr Leben verloren. „Ein solches Unglück kann sich jederzeit wiederholen“, lautet das Ergebnis der Untersuchung, zu der 170 Gruppen aus dem ganzen Land ihre Daten beisteuerten.
Bei 95 Prozent der Gebäude, die jederzeit von einer Überschwemmung heimgesucht werden können, handelt es sich um Wohnungs-, Hotel- und Apartmentkomplexe. Der Rest verteilt sich auf Campingplätze, Sportanlagen, Altersheime bis hin zu Industriegebieten.
„Am meisten betroffen sind die Pyrenäen und die Mittelmeerküste, wo der Tourismus einen unkontrollierten Bauboom hervorgerufen hat“, sagt der Coda-Vorsitzende von Santiago, Martin Barajas. Doch selbst die Hauptstadt Madrid blieb von illegaler Bebauung nicht verschont. Am Rio Guadarama und dem Rio Jarama wurden ganze Stadtteile in das Bett von Zuflüssen gesetzt.
Schmiergelder verleiten zum Gesetzesbruch
„Die Firmen, die solche Siedlungen errichten, verfügen selbstverständlich über keine Besitzurkunde, denn das Gelände kann von den Gemeinden gar nicht veräußert werden, so steht es zumindest im Wasserschutzgesetz“, beschreibt Martin Barajas die chaotische Situation. Daß die zuständigen Behörden trotzdem Straßen bauen, Wasser, Abwasser, Strom und Telefon legen, ist nur eine Ungereimtheit mehr.
„Schmiergelder“, vermutet der Coda-Chef, stünden in vielen Fällen hinter dem bereitwilligen Gesetzesbruch durch die Kommunalbehörden. Da seit 1962 insgesamt 600 Menschen bei Überschwemmungsunglücken starben, fordert Coda die sofortige Bereitstellung von staatlichen Finanzmitteln, um die betroffene Bevölkerung umzusiedeln und die fraglichen Gebäude nach und nach abzureißen.
Umweltministerin Isabel Tocino möchte davon nichts wissen: „Eine solche Debatte verschreckt nur den Tourismus“, lautete ihre Antwort. Ein Unglück wie das in Biescas gebe es sowieso nur alle 3.000 Jahre, rechnet die Ministerin den Umweltschützern vor. „Na, dann warten wir halt und gehen, wenn es soweit ist, wieder alle brav zur Trauermesse“, meint dazu Martin Barajas. Seine Klage gegen die Regionalverwaltung von Aragón, die den Unglückscampingplatz in Biescas seinerzeit genehmigt hatte, ist bis heute nicht bearbeitet worden. Reiner Wandler
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