: Polnische Obdachlose helfen Flutopfern
■ Der Schaden in den polnischen Hochwassergebieten wird auf bis zu zehn Milliarden Mark geschätzt. Geschädigte sind auf internationale Hilfe angewiesen
An der Nudelmaschine stehen Warschauer Obdachlose. Sie arbeiten, als ginge es um ihr Leben. „Die Spaghettis sind für die Flutopfer“, strahlt ein älterer Mann im weißen Kittel. „Drei Tonnen können wir jeden Tag produzieren.“ Auch Teresa Sokolowska aus dem überschwemmten Bystrzyca Klodzka freut sich: „Letztens rief ein Unternehmer an und fragte einfach nur: ,Was braucht ihr?‘“ Zur Zeit nur Schaufeln und Hacken, war die Antwort. Ein paar Tage später ein Lastwagen mit dem Gewünschten vor der Tür. „Wie auf Bestellung!“
Als Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski in den ersten Tagen der Flutkatastrophe das Rote Kreuz in Warschau besuchte, konnte er sich kaum den Weg durch die Menschenmenge bahnen. Große Pakete mit Waschmittel schleppten die Leute an, Mineralwasser, Konserven, Windeln, Gummihandschuhe. Kwaśniewski war so beeindruckt, daß er auf der Stelle sein Präsidentengehalt bis zum Jahresende spendete. Fast alle Abgeordneten folgten seinem Beispiel und spendeten ihre Diäten bis zum Ende der Legislaturperiode.
Allein die polnische Caritas hat bis heute 25,5 Millionen Zloty (knapp 14 Millionen Mark) zusammengetragen, auf dem Konto des Polnischen Roten Kreuzes gingen umgerechnet 12,5 Millionen Mark ein. Das Fernsehen sammelte bis heute rund 12 Millionen Mark. Da im ganzen Land Konten eingerichtet wurden – von Firmen, Privatleuten, Kleintier- und Sportvereinen, von Künstlern, großen und kleinen Städten – könnte eine Gesamtsumme von rund 100 Millionen Mark allein durch die Hilfsbereitschaft der Menschen zusammenkommen, schätzt das politische Magazin Polityka.
Überrascht von dem enormen Engagement waren nicht nur die großen karitativen Organisationen, sondern auch die Regierung. Innerhalb kürzester Zeit brach das Chaos aus. Niemand wußte, wer wo welche Hilfe benötigte. Vollbeladene Lkws fuhren ohne genaues Ziel „ins Katastrophengebiet“. Zwar richtete der Präsident in seiner Kanzlei einen Stab mit 15 Leuten und zehn Telefonleitungen ein, der die Hilfe koordinieren sollte, doch als wesentlich effektiver erwies sich der Service einer privaten Kommunikationsfirma. Hier konnten Flutopfer wie Hilfswillige Tag und Nacht anrufen.
Als eine erste unbürokratische Hilfe sollen alle von der Flut betroffenen Haushalte rund 1.600 Mark von der Regierung bekommen. Laut Mitteilung des Informationszentrums der Regierung haben bereits über die Hälfte der rund 41.000 Berechtigten das Geld abgeholt. Allerdings sollen die umgerechnet rund 280 Millionen Mark aus der Haushaltsreserve auch einen großen Teil des „Wiederaufbau- und Modernisierungsprogramms“ finanzieren. Doch allein die ersten Anfragen aus den überschwemmten Gebieten haben bereits eine Summe von etwa 1,07 Milliarden Mark erreicht. Der Gesamtschaden wird von Experten auf acht bis zehn Milliarden Mark geschätzt.
Ende August sollen die ersten neuen Siedlungen für die nun obdachlosen Hochwasseropfer fertig sein. Die Häuschen werden 50 bis 60 m2 groß und von „leichter Konstruktion“ sein, erklärte Andrzej Pilat, der zuständige Minister.
Aus der ganzen Welt treffen Hilfsleistungen ein: Pumpen und Wasseraufbereitungsanlagen aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Holland und Dänemark. Experten aus der Schweiz, aus Litauen und der Ukraine helfen beim Brückenbau, bei der Beseitigung von Tierkadavern, bei der Reparatur der Kläranlagen. Japan schickt 40 Stromaggregate, Kabel und sieben Wassertanks, die Ukraine 30 Bulldozer, Israel 100.000 Einmalspritzen. In den letzten Tagen sind in Polen 300 Hilfskonvois eingetroffen. Die Polen bis heute geleistete internationale Hilfe wird auf rund 270 Millionen Mark geschätzt. Gabriele Lesser, Warschau
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