: Guter Rat nicht teuer
■ Das ostdeutsche Verbrauchermagazin "Guter Rat" rät bald auch bundesweit
Beamen wir uns in das Ost-Berlin von vor zehn Jahren. Ein Morgen am Alexanderplatz, gegen 6 Uhr hat sich eine etwa 50 Meter lange Schlange vor dem Zeitungsladen neben dem Postamt gebildet. Heute ist Wochenpost-, FF Dabei- und Für Dich-Tag. Wer Glück hat, erwischt nicht nur die konkurrenzlose Wochenzeitung, das einzige Fernsehjournal und die wichtigste Frauenzeitschrift der DDR, sondern sogar die monatlich erscheinenden Magazine Guter Rat und Kultur im Heim.
Alle fünf Publikationen sind „Bückware“ – man tut gut daran, vom Zeitungshändler gemocht zu werden oder durch Besitz anderer Bückware souverän handeln zu können. Wochenpost und Kultur im Heim findet man anregend und bildend, doch der Gute Rat ist unverzichtbar. Er begleitet die DDR- Bürger mit Tips zum Reparieren und zum Selbstbau von Möbeln, mit Anleitungen zum Nähen von Spielzeugstofftieren, Erziehungs- und Einkochratschlägen durch die Mangelwirtschaft. Die Planung jeden Guten Rats ist gewiß ein Drahtseilakt, gilt es doch, die dürftige Versorgungslage via Tips und Tricks nicht noch spürbarer zu machen, als sie es ohnehin ist. Also wird die Not zur Tugend sprich: zum Hobby deklariert. Was heute Selber machen, Brigitte kreativ, Eltern, test und Meine Familie und ich heißt, das alles war der Gute Rat in einem.
Der Gute Rat wurde 1945 gegründet, und es gibt ihn immer noch. Nach der Wende kaufte der Gong-Verlag den Leipziger „Verlag für die Frau“, von dessen Portfolio allerdings lediglich der Gute Rat übrigblieb. Die Modeblätter Sybille, Modische Maschen und Pramo hatten bald ausgestrickt. Heute setzt der Gute Rat auf Orientierungshilfe im Verbraucherdschungel, auf Gesundheitsthemen, Extra-Features, Rubriken wie „Wohnen im Grünen“ und „Geld und Recht“. Der Duktus des Magazins ist, verglichen mit test oder Öko-Test, liebenswüdig, fast fürsorglich. Tapfer behauptet sich der kleine, mit 3,50 DM wohlfeile Gute Rat neben den großen Konkurrenten; ab November soll er sogar flächendeckend bundesweit erscheinen, denn auch Wessis brauchen gute Ratschläge – weshalb die Druckauflage auf eine halbe Million steigen wird. Was auch angesichts des Ratgeber-Booms recht optimistisch ist, schließlich landeten in den letzten Jahren selten mehr als 130.000 Exemplare in den Hobbykellern zwischen Rostock und Zwickau.
Andere Ost-Produkte, seien sie so unterschiedlich wie die zu Tode modernisierte Wochenpost oder die florierende Super-Illu, sind mit dem Versuch des Ost-West-Spagats bereits gescheitert: Ossis und Wessis sind hochsensible Tierchen, die man mit Gleichmacherei nur beleidigt. Dennoch komme, Pressesprecher Franz Herrmann zufolge, der Gute Rat „mit seiner Mischung aus Produktinformation und Service-Rubriken auch in den alten Bundesländern hervorragend an“. Bereits im März wurde der Gute Rat, „das Qualitätsprodukt aus Berlin“, im Saarland und im Rhein-Main-Gebiet getestet.
Auch Chefredakteur Rainer Bieling begrüßt die Vereinigung zweier Teilmärkte auf Ähnlichkeitsbasis: „Wenn der Osten hustet, kriegt der Westen Schnupfen.“ Das Kaufverhalten Ost- West, so auch Herrmann, habe sich weitgehend angeglichen. Das mag man noch hinnehmen, aber sind die Probleme, in denen Guter Rat vonnöten ist, in Ost und West auch dieselben? Infos über die neue T-Box und preiswerte Walkmen mögen auch in Wuppertal interessieren, doch die „höhere Pacht für Wochenendhäuser im Osten“? Anke Westphal
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