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Der Kaufhausblick auf Lebenswelten

Hübsch eingeräumte Wohnparadiese aus dem Geist der Pop-art: In den Hamburger Deichtorhallen bemühen sich einundzwanzig KünstlerInnen mit raumgreifenden Installationen um ihre Vision des „Home Sweet Home“  ■ Von Hajo Schiff

Ein Lagerfeuer aus glutrot bemalten Holzlatten, umgeben von Eisenstühlen im Stil Louis XV. auf einer wie Parkett bedruckten Spanplatte – das ist die letzte authentische Arbeit von Martin Kippenberger. Zusammen mit dem mehrteiligen Bild „Die Frau ist die gefährlichste Waffe in der Wohnung“ von 1984 wurde die Installation durch den Tod des Künstlers zu einem Schwerpunkt der Ausstellung „Home Sweet Home“ in den Hamburger Deichtorhallen.

Doch der Kampf gegen die Idylle als Widerpart des Künstlerbohemiens ist eine bereits abgelebte Pose. Kippenbergers Weggefährte aus alten Tagen, Werner Büttner, ist zwar auch in der Ausstellung vertreten, verweist jedoch darauf, der Einrichter des Szene- Restaurants „Jena-Paradies“ zu sein, das gleich gegenüber der Halle liegt. Aus Kritik ist eine sanft ironische Zustimmung geworden, zu der auch Büttners bittersüße Raumidylle mit den norddeutschen Findlingen und dem gemalten Gartenzaun paßt, in dessen Zwischenräumen vom Flohmarkt „gerettete“ Laienbilder hängen. Bilder retten, das heißt beim Hamburger Professor, sie teilweise zu übermalen, um ihnen zu neuer Kenntlichkeit zu verhelfen.

Einundzwanzig Künstlerinnen und Künstler aus sieben Ländern umfaßt die von Zdenek Felix zusammengestellte Schau. Mit vielen eigens entworfenen Arbeiten gibt sie einen guten Überblick über die Art von Kunst, die sich über Einrichtung manifestiert, ohne Design sein zu wollen. „Home Sweet Home“ nutzt die auffällige Aktualität des Themas und führt es auf die Pop-art zurück.

Ein durchgängiges Interesse am Innenraum belegen die großen Drucke von Roy Lichtenstein, und wenn im System der bunten Wandpaneele von 1970 der dazugehörige Boden aus künstlichem Nebel auch meist ausgeschaltet bleibt – das „Interieur Horizon Home Sweet Home“ von James Rosenquist wurde zum Namensgeber der Ausstellung. Das nicht mehr auszuleihende, 1963 gebaute „Bedroom Ensemble“ von Claes Oldenburg hat sich die Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury anverwandelt und in schrillem Orangeplüsch nachgebaut: Als respektloser Bezug der 36jährigen auf Kunstgeschichte und Design zugleich ist es exemplarisch für die direkte Aneignung von Kunst im Kontext Wohnen.

Trotz ihrer gut bestückten Kojen ist die Ausstellung selbstverständlich keine Möbelmesse, aber ein Kaufhausblick auf die Künstlereinrichtungen hat seinen Reiz. Denn der gedachte, simulierte oder benutzbar gestaltete Wohnzusammenhang ermöglicht, anders als bei reduzierter künstlerischer Gedankenarbeit, leichter eine heimelige Nähe zu den Objekten und Installationen. Und das kann ganz direkt funktionieren: In der quietschbunten Welt der Tschechin Katerina Vincourova bietet das kuschelige Innere fahrbarer Farbformen Raum zum Träumen. Doch selbst mit einiger Distanz läßt sich das demonstrative Wohnen voyeuristisch als Manifestation von Intimität wahrnehmen, ob als fragwürdig authentisches Dokument einer Person oder einfach als das Vergnügen, sich in ein Ambiente zu projizieren. Darin liegt die Attraktivität für Künstler und Ausstellungsmacher – und nicht nur in der Chance zur gutbezahlten Edition von Künstlerobjekten.

Der direkte Bezug mag auch erklären, daß die Arbeiten des zum bildhauernden Superstar avancierten Österreichers Franz West diesen Sommer gleichermaßen hier wie bei der unterkühlten documenta X, auf der sonnigen Biennale in Venedig und im grünen Münster auftauchen. Obwohl die amorphen Objekte und spröden Installationen eher uncharmant daherkommen, liegt in der deutlichen Aufforderung zur Benutzung von Biertisch und schiefem Stuhl, Paßstück und Pissoir ein Rest wienerischer Gemütlichkeit und die Ahnung von der Teilhabe am abgelegten Künstlerleben.

Die Wohnung ist der Raum, in dem die Dinge den Personen anverwandelt werden. Wo dies nicht geschieht, entsteht Mißbehagen oder ein tragikomischer Streit, der danach ruft, entweder die Menschen oder die Dinge zu entfernen. Viele Designobjekte können prima ohne den Menschen auskommen, auch Thomas Grünfelds gelb-beige Sitzelemente in einem samt Wand ganz mit braunem Teppich ausgeschlagenen Zimmer scheinen vor Frustration über ihre Unzeitgemäßheit sich zu Plastiken verwandelt zu haben, um wenigstens so ihr Überleben zu sichern.

Mögliche Lebenswelten demonstriert John M. Armleder in zwei parallelen Installationen mit je zwölf Bildern und ebenso vielen glaskastengeschützten Objekten bekannter Künstler. Den beiden musealen Schlafzimmern hat er selbst als neue Arbeit je einen „Kratzbaum“ hinzugefügt, der eher ein großes buntes Katzenschloß ist: gleich luxurierendes, von fremden Identitäten besetztes Ambiente für Tier und Mensch. Cosima von Bonin und Kai Althoff haben einen von Künstlern eingerichteten und in Köln sonst benutzten Raum zurück in die Ausstellungshalle transportiert. Die erneute Kontextverschiebung läßt zudem ahnen, welche Anforderungen an den Nutzer ein Leben in heutigem Edeltrash stellt.

Überhaupt ist nicht ausgemacht, wer dominanter im Haus ist – Möbel oder Bewohner. Wie herrisch Wohnkultur ihre Nutzer konditionieren kann und wie bordellhaft verkommen solche Ansprüche heute sind, zeigt Renée Greens roter Raum, der mit einem Mozartbild und historischen Möbeln ausgestattet wurde und zu einem Viertel gespiegelt ist. Doch vor allem ist der Rapport von rotweißen Blumenranken, der von der Tapete bis zum Stuhlbezug alles überzieht, ein Kommentar zur Kultur, die sich durch Kolonialismus nährt: Zwischen den Blüten sind wie Genreszenen Machtallegorien und Zeichnungen von Greueltaten an Schwarzen eingefügt.

Einen ökologischen Touch bringt Dan Peterman ein. Seine Elemente, zugleich Bodenplatten und Hocker, sind aus geschreddertem Kunststoff: praktisch und ziemlich belanglos. Doch der Künstler, der in seiner Heimatstadt Chicago sein Atelier auf einem Recyclinghof hat, gibt den Objekten einen hintergründigen Sinn: Jeder bekommt seine individuelle Jahreskunststoffmüllproduktion als Möbel ins eigene Haus rückgeführt.

Was ist mit den Menschen, den Bewohnern all dieser Wohnwelten? Sie werden mittels Fotografie zur Form. Die Breitwandfotos von Sam Taylor-Wood aus London führen Geschichten über das Wohnen vor. Doch die kostbar herumstehenden und gelangweilt herumsitzenden Personen scheinen ohne jegliche Kommunikation. Selbst in sexuellen Posen zelebrieren sie nur Gesten des Bewohnens. Das ist bei den Fotos Richard Billinghams auf sehr dramatische Weise anders. Seine ausgesuchten Schnappschüsse aus dem nicht schönen, aber lebendigen Unterschicht-Alltag seiner Eltern sind durch die ganze Ausstellung verteilt und bleiben auch hier, wie schon in der Wolfsburger „Young British Art“- Schau, in der Schwebe zwischen formalisiertem Voyeurismus und Dokumentation eines Lebensstils, wie ihn kaum einer der Ausstellungsbesucher kennen dürfte.

Das Wohnumfeld ist eine entscheidende Prägung der Kindheit. Damit künftige Generationen nicht ungehört beeinflußt werden, hat Regina Möller aus den Kinderzimmern in Le Corbusiers Unité d'Habitation ein Puppenhaus gemacht und es Kindern zur Gestaltung überlassen. Und bei solchen Reflexionen auf das Kinderzimmer als Disziplinierungsort sind auch Mike Kelleys abgelegte Sockenhaufen und peinlich gestrickte Kuschelherzchen nicht weit.

„Home“ hört aber an den Zimmerwänden nicht auf, das Wort bezeichnet auch die Heimat draußen. Wie das Bild der gewohnten Umwelt durch wirtschaftliche Interessen langsam unkenntlich wird, zeigt Andreas Schulze mit sächsischen Tourismusplakaten und einem eigenartigen, in wochenlanger Arbeit aufgebauten metergroßen Stadtmodell eines fiktiven „Dresden“. Im traditionellen Modelleisenbahnerformat durchsetzen Werbebotschaften wie ein bösartiger Befall die Stadtlandschaft, die im Hintergrund auf einer bergigen Anlage von einer Suppenterrine aus Meißner Porzellan gekrönt wird. Es gibt kein Entkommen mehr, Gestaltung ist alles.

Bis 28.9., Deichtorhallen Hamburg (Katalog erscheint Mitte August)

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