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Deutsche Unternehmer im Iran erleben zur Zeit einen „unausgesprochenen Boykott“. Bereits kurz nach dem Berliner Mykonos-Urteil hatten einzelne Geschäftsleute von Benachteiligungen gesprochen. Jetzt sollen Auftraggeber auf Waren aus Deutschland verzichten. Von Thomas Dreger

Made in Germany – ein Makel

Während Irans neuer, als vergleichsweise moderat geltender Präsident Mohammad Chatami versucht, eine Regierungsmannschaft aufzustellen, verhängen seine Gegner einen Wirtschaftsboykott gegen deutsche Unternehmen. Am Montag zitierte die englischsprachige Iran Daily den aus Bonn nach Teheran zurückbeorderten Botschafter Hossein Mussavian: „Deutschland muß Wiedergutmachung leisten für die Verluste der Islamischen Republik im Zusammenhang mit dem Mykonos-Prozeß.“ Am gleichen Tag meldete das Bundeswirtschaftsministerium, deutsche Exportfirmen hätten sich über Benachteiligungen durch die iranische Regierung beklagt. Die in Teheran erscheinende Tageszeitung Iran News berichtete, iranische Auftraggeber sollten, sofern es nicht um lebensnotwendige Waren ginge, auf Lieferungen aus Deutschland verzichten. Ein in Teheran ansässiger deutscher Geschäftsmann spricht von einem „unausgesprochenen Boykott“.

Kollegen von ihm hatten bereits kurz nachdem das Berliner Kammergericht de facto Irans oberste Staatsführung für schuldig an dem Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden in dem Berliner Restaurant Mykonos gesprochen hatte, über Schwierigkeiten mit ihren Geschäftspartnern berichtet. Jedoch beschränkten sich diese auf untere Chargen der iranischen Behörden. Für eine von der Staatsführung festgelegte Linie gab es keine Anzeichen.

Das hat sich mit den jetzigen Presseberichten aus Teheran verändert. Auffallend ist, daß die Aufforderungen zum Deutschlandboykott aus dem Lager jener kommen, die durch die überraschende Wahl Chatamis verloren haben. In Teheran gilt es als äußerst unwahrscheinlich, daß Botschafter Moussavian selbst wieder an seinen Schreibtisch in Bonn zurückkehren wird. Sein Dienstherr, der bisherige Außenminister Ali Akbar Welajati, ist – neben dem ebenfalls abgesägten Geheimdienstminister Ali Fallahian – das prominenteste Opfer Chatamis. Der im Ausland gerne als moderat gehandelte Kinderarzt fuhr im Iran auf dem Ticket der Hardliner um den Religiösen Führer Ali Chamenei. Bis zuletzt versuchten seine Anhänger, Chatami zu zwingen, Welajati auf seinem Posten zu belassen – vergeblich. Nur den Posten des Gesundheitsministers wollte er Welajati anbieten. Der lehnte ab und soll jetzt als Leiter eines Krankenhauses in Teheran in den politischen Ruhestand geschickt werden.

Auch die Medien, die über die Abkehr vom bisher in Teheran in Wirtschaftsfragen gepflegten Pragmatismus berichten, gehören zum Lager der Wahlverlierer. Iran News gilt als Organ Welajatis. Iran Daily steht der Nachrichtenagentur Irna nahe. Um das von Konservativen bestimmte Haus tobt ein heftiger Machtkampf.

Gestern legte Chatami nun dem Parlament seine Kabinettsliste vor. Zum Leidwesen seiner Gegner sind darauf kaum bekannte Hardliner zu entdecken. Dafür etliche Unbekannte. Die Spannbreite reicht – soweit erkennbar – von Rafsandschani-nahen Technokraten bis zu Linksislamisten. Auffallend ist, daß Chatami keine Frau im Angebot hat. In den letzten Tagen hatte es geheißen, der Präsident wolle drei Ministerinnen in sein Kabinett aufnehmen. Noch am Montag hatten iranische Medien berichtet, die Journalistin Masoomeh Ebtekar bekomme das Umweltressort und werde zudem Vizepräsidentin. Fehlanzeige.

Bis zum Dienstag soll nun das von Chatamis Gegnern dominierte Parlament über dessen Regierungsmannschaft beraten. Die Minister müssen sich bei den Parlamentariern vorstellen, dann wird über jeden einzeln abgestimmt. Die gestern präsentierte Liste ist also gewiß nicht endgültig.

Wie auch der Deutschland-Boykott zeigt, beschränken sich Chatamis Gegner nicht auf parlamentarische Mittel, um ihre Vorstellungen durchzudrücken. So fordern sie seit zwei Wochen den Rücktritt des Bürgermeisters von Teheran, Gholam Hossein Karbaschi. Der Vertraute Chatamis, der in der iranischen Metropole überhaupt erst eine ernsthaft Stadtverwaltung zu nennende Institution aufbaute, sieht sich plötzlich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert.

Doch Chatamis Gegner müssen aufpassen, daß sie den Bogen nicht überspannen. Der mit Zweidrittelmehrheit gewählte Präsident weist darauf hin, daß er seine 20 Millionen WählerInnen nicht enttäuschen dürfe. Zu Recht, denn andernfalls könnte die Euphorie nach der Wahl in Wut umschlagen.

Doch in solchen und anderen für den eigenen Machterhalt entscheidenden Fragen scheinen sich Chatamis Gegner ihren Pragmatismus erhalten zu haben: Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sind von dem Deutschland-Boykott Rüstungsgüter ausdrücklich ausgenommen. Auf der iranischen Einkaufsliste stehen derzeit emaillierte Reaktoren und Heizungsanlagen für Raketen ganz oben.

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