: Die leidige Trinkgeldfrage
Ob enthaltsam oder in Spendierhosen – auf jeden Fall sollte man sich vor Urlaubsantritt mit den Gepflogenheiten des Gastlandes vertraut machen ■ Von Günter Ermlich
Mal ehrlich, wie halten Sie es im allgemeinen mit der Trinkgeldfrage? Vielleicht hilft Ihnen unser vierklassiger Einstufungstest „Erkennen Sie Ihren Trinkgeld-Typ!“.
Typ 1, der Superexakte: Ich gebe grundsätzlich null Komma null Trinkgeld und zähle genau nach.
Typ 2, der Zurückhaltende: Ich runde immer auf glatte Beträge auf (zum Beispiel bei 29,60 Mark: „Geben Sie mir auf dreißig raus!“).
Typ 3, der Einfallslose: Ich gebe durch die Bank zwei Mark extra, egal wie hoch die Rechnung ist („Der Rest ist für Sie!“).
Typ 4, der Hochprozentige: Ich lege zwischen 10 bis 20 Prozent des Ladenverzehrpreises drauf („Machen Sie sich einen schönen Abend davon!“).
Wie formulierte der Schriftsteller Gregor von Rezzori: „Die Kunst des Trinkgeldgebens liegt in der Dosierung.“ Das Einmaleins des Extra-Obolus will gelernt sein. Beileibe nicht jeder Gast verfügt über das gewisse Trinkgeld-Gefühl in den Fingerspitzen. Warum haben eigentlich die Volkshochschulen, unsere Übungsstätten der Lebenspraxis, immer noch keine festen „Trinkgeldkurse“ in ihrem Programm?
Tatsache ist, daß das bedienende Personal im Fremdenverkehr ohne die mehr oder minder großzügigen „Stimmt so!“-Zugaben der Gäste aufgeschmissen wäre. Im Gast- und Hotelwesen, im Taxi- und Horizontalgewerbe ist das Trinkgeld eine fest einkalkulierte Größe, eine unerläßliche Aufbesserung des meist kärglichen Grundlohns. Sozusagen als waigelfreie Dreingabe.
Um das Für und Wider, um das Wo und Wieviel des Trinkgeldes wurde in der Vergangenheit immer wieder trefflich gestritten. Schon vor über 100 Jahren hatte sich in Altona ein „Anti-Trinkgeld-Verein“ gebildet zu dem Behuf, gegen das Trinkgeldgeben in Wein- und Bierhäusern einzuschreiten. Die Wirte sollten veranlaßt werden, ihre Kellner derart zu honorieren, daß die Trinkgelder überflüssig würden. Dagegen machte die Allgemeine Hotel- und Gaststätten-Zeitung schon im Jahre 1890 den Vorschlag, „Trinkgeldkassen“ mit der Aufschrift „Für das Personal“ aufzustellen. Viertel- oder halbjährlich sollte die Kasse geöffnet werden und der Inhalt – gemäß der Leistung jedes einzelnen – an das Wirtschafts- oder Hotelpersonal verteilt werden. Mit dieser Maßnahme, folgerte das Fremdenverkehrsfachblatt, wäre endlich die „lästige Trinkgeldhascherei“ vom Tisch, und damit würden „die den Stand erniedrigenden persönlichen Trinkgelder“ überflüssig.
Und überhaupt! Andere Länder, andere Trinkgeldsitten. In Australien sind „tips“ (so der anglophone Terminus technicus) nicht üblich, in Skandinavien gar peinlich, in Japan sind sie geradewegs ehrenrührig und in China offiziell weiterhin tabu. Ganz anders in Nordamerika: Hier tritt der Tourist ins fette Näpfchen, wenn er nicht automatisch 15 bis 20 Prozent „tip“ auf den Rechnungsbetrag gibt. Auch wenn das Zimmermädchen noch so böse Miene macht und der Reisegruppenführer miesepetert. Denn die Beschäftigten im Dienstleistungsgewerbe zwischen Miami und Vancouver verdienen einen „Hungerlohn“ und können nur dank der zusätzlichen Einnahmequelle „Handgeld“ überleben. Ähnlich verhält es sich auch in vielen südlichen Urlaubsländern wie Spanien oder gar Tunesien.
Ob wir mit voller Absicht enthaltsam sein wollen oder aber die Spendierhosen einpacken müssen: In jedem Fall sollten wir uns vor Urlaubsantritt mit den gröbsten Trinkgeld-Gepflogenheiten unseres Gastlandes vertraut machen. Das erspart Ärger und den (möglichen) interkulturellen Schock. Dabei müssen wir ja nicht so weit gehen wie die beiden Aristokraten alter Schule im revolutionären Frankreich: Noch auf dem Schafott – das Fallbeil drohte schon von oben – haben sie sich darüber ausgetauscht, wieviel „pourboire“ (zum Trinken) sie ihrem Henker wohl dalassen sollten.
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