piwik no script img

„Ich wollte immer ich bleiben“

Gesichter der Großstadt: Bis 1994 war Ines Saager für die Grünen Wirtschaftsstadträtin in Marzahn. Jetzt bringt sie ihr Fachwissen bei der CDU ein  ■ Von Dorothee Winden

Die Begegnung auf der Radrennbahn war zufällig, aber folgenreich. Im Januar traf Ines Saager, die frühere Marzahner Wirtschaftsstadträtin, einen alten Kollegen, den CDU-Wirtschaftsstadtrat von Pankow. Sie umarmten sich herzlich. Beide kennen sich schon seit Wendezeiten, als sie sich im Neuen Forum engagierten. Schnell brachte Martin Federlein das Gespräch auf die BürgerrechtlerInnen um Vera Lengsfeld und Günther Nooke, die im Dezember zur CDU gewechselt waren. Ob sie nicht auch eintreten wolle? Keine abwegige Idee für Ines Saager. Als sie den Übertritt der Bürgerrechtler vor dem Fernseher verfolgt hatte, hatte sie sich gedacht: „Die tun das Richtige“. Es folgten weitere Gespräche. Federlein brachte Nooke mit, den Ines Saager zu seinen Erfahrungen in der CDU befragte. „Ich hatte ja immer Angst vor Parteien. Ich dachte, die machen einen mundtot. Ich wollte immer ich bleiben“, sagt die lebhafte, zierliche Frau, die für ihre 51 Jahre recht jugendlich wirkt.

Bei Bündnis 90/ Die Grünen ist die Parteilose nie heimisch geworden. Bei der Wahl 1992 stand sie im Wahlzelt der Grünen am Potsdamer Platz und erlebte, wie Beifall aufkam, wenn die PDS zulegte. „Da bin ich nach Hause gegangen.“ 1990 hatten die Grünen sie als Stadträtin in Marzahn nominiert. „Sie war eine der besten Wirtschaftsstadträte in Ostberlin“, sagt Vollrad Kuhn, der damalige grüne Wirtschaftsstadtrat von Treptow. Auch bei der CDU galt Saager als engagierte Expertin. Als sie im Dezember 1994 das Handtuch warf, überreichte ihr die Marzahner CDU-Fraktion eine rote Rose mit Trauerflor. An Weihnachten rief Elmar Pieroth – damals CDU-Finanzsenator – aus dem Urlaub in den Alpen an und fragte: „Wie geht es Ihnen, Frau Saager?“ Auch vom Charlottenburger CDU-Wirtschaftsrat Heinrich erhielt sie einen anteilnehmenden Brief.

Zu spät hatte die grüne Abgeordnetenhausfraktion versucht, sie nochmals umzustimmen. Ihr Rücktritt wurde mit Bedauern aufgenommen, doch es kam kein Anruf, kein Brief. „Ich bin nicht sauer darüber“, sagt sie. „Aber die Grünen pflegen ihre Leute nicht.“ Als sie ein Jahr später gefragt wurde, ob sie für den Bundestag oder das Abgeordnetenhaus kandidieren wolle, war es auch diesmal zu spät. Sie hatte einen Job in der Wirtschaft gefunden. Derzeit entwickelt die Volkswirtschaftlerin gemeinsam mit Architekten Senioren-Wohnanlagen.

Warum ausgerechnet die CDU? „Wo gibt es schon eine Partei, die alle deine Ideale erfüllt?“ sagt sie, ganz Realistin. Ihr geht es darum, einen Ort zu finden, an dem sie sich politisch einbringen kann. „Wenn ich nicht aktiv bin, werde ich krank.“ Sie will sich in die CDU-Arbeitsgruppe einklinken, die wirtschaftspolitische Konzepte für den Nordosten Berlins entwickelt. Ambitionen auf eine Parteikarriere hat sie nicht. Sie war schon immer mehr fürs Praktische zu haben: Als nach der Wende eine westdeutsche Lebensmittelkette in Marzahn alle 13 Kaufhallen übernahm und damit ein Monopol hatte, organisierte sie die Marktwirtschaft. Und das ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen: Ihr gelang es, daß Marktstände für Konkurrenz sorgten. Sie trieb den Aufbau des größten zusammenhängenden Gewerbegebietes Berlins voran.

Überaus herzlich sei sie bei der CDU aufgenommen worden. „Das empfinde ich auch als eine Ehrung.“ Nur in einem Punkt könnte sie sich täuschen: „Da ist keiner, der sagt, jetzt vermarkten wir das Mädel“, meint sie. Dabei war immerhin ein Interview bei der Abendschau arrangiert worden. Das Eintrittsformular unterschrieb sie bei einer Veranstaltung, bei der CDU-Politiker mit Generalsekretär Peter Hintze über Wahlkampfstrategien in Ostdeutschland diskutierten.

Als Termin für die Bekanntgabe ihres Parteieintritts hat sie mit Bedacht den 13. August gewählt. Unvergessen ist der Mauerbau, der die Familie Saager auseinanderriß. Die damals 14jährige wußte nicht, wann sie ihre Schwester wiedersehen würde, die im Juni 1961 in den Westteil der Stadt geheiratet hatte. Unvergessen ist auch, daß die SED dem Vater die Verfolgtenrente strich, nachdem er aus der Partei ausgetreten war. Der Vater hatte im 3. Reich wegen Wehrkraftzersetzung anderthalb Jahre im Knast gesessen. Zu kurz für den Anspruch auf die Rente, hieß es plötzlich. Saager selbst flog als Schülerin aus der FDJ. Sie wollte nicht unterschreiben, daß sie kein Westfernsehen schaute. Die Schüler würden mit der Abgabe solcher Erklärungen zum Lügen gezwungen, kritisierte sie.

Schon bei den Grünen galt Saager als eine der schärfsten GegnerInnen einer Zusammenarbeit mit der PDS. „Bei den Christdemokraten habe ich wenigstens die Garantie, daß nicht irgendwann mit der PDS gekungelt wird.“ Der SED-Nachfolgepartei wirft Saager vor, nur das Geld der SED zu übernehmen, nicht aber die Erblast anzutreten. Statt am 13. August einen Kranz für die Maueropfer niederzulegen, hätte die Partei besser darüber diskutiert, wie es zum Schießbefehl kommen konnte, meint sie. „Mit Scheinheiligkeit kann man keine Vergangenheit aufarbeiten. Ich kann diese Art des Vergessens nicht ertragen.“ Die Marzahner Bezirksgruppe der Bündnisgrünen sieht in Ines Saager „eine Bereicherung“ für die CDU. Und ohne Häme wünschen sie ihr: „die Kraft zum Spielen eines lauten Instrumentes im Orchester der CDU, zumindest ein Instrument, das die Blockflöten übertönen kann.“ Dorothee Winden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen