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Im Zweifel saß die Truppe auf dem Klo

Sechzehn Polizisten stehen vor Gericht. Bei Einsätzen sollen sie Verdächtige mit Fäusten und Knüppeln mißhandelt haben. Gegenüber neuen Kollegen waren sie auch nicht zimperlich  ■ Aus Berlin Plutonia Plarre

Die Stimmung war auf dem Siedepunkt, als der Videofilm vom Einsatz in der Silvesternacht im Dienstzimmer einer Berliner Polizeidirektions-Hundertschaft über die Mattscheibe flimmerte. „Boa, stark, geil“, schallte es durch den Raum, als mehrere Polizisten in dem Film mit Fäusten und Schlagstock ihr Mütchen an einem blutüberströmten Skinhead kühlten.

Vor allem an einer besonders gewalttätigen Szene konnten sich die zahlreich versammelten Herren und wenigen Damen in Uniform nicht sattsehen. Auf die Idee, gegen die Akteure des Films Strafanzeige zu erstatten, kam niemand. Auch der Vorgesetzte nicht, der den Film vorsorglich in seinem Spind verschwinden ließ. Der Vorfall ereignete sich Anfang 1994. Seit gestern sitzen die Akteure und die stumm gebliebenen Kollegen im Berliner Kriminalgericht auf der Anklagebank.

Was die Schlagkraft der Polizei angeht, ist Berlin bekanntlich führend. Für ihre auffällig häufige Gewaltanwendung wurde die Polizei erst unlängst vom Antifolter-Komitee in Straßburg gerügt. Daß nun 16 Polizisten, darunter eine Frau, vor Gericht stehen, ist selbst in Berlin ein Novum.

Die Angeklagten im Alter zwischen 26 und 40 Jahren müssen sich unter anderem wegen Körperverletzung im Amt und Strafvereitelung verantworten. Tatzeitraum ist Ende 1993 bis Mai 1994. Wie in einem vorangegangenen Großverfahren gegen andere Angehörige von geschlossenen Einheiten hat es das Gericht mit einem typischen Fall von Korpsgeist zu tun.

Sechs Angeklagte stehen im Verdacht, gegenüber Skinheads, Fußballfans sowie polnischen und vietnamesischen Staatsbürgern willkürlich vom Faustrecht Gebrauch gemacht zu haben. Die übrigen sollen entweder zugeguckt oder bewußt weggeschaut und auch später nichts gegen die Kollegen unternommen haben. „Ich war auf der Toilette und habe mir einen Kaffee geholt“, versuchte sich die gestern zu dem Ablauf der Videovorführung befragte Polizistin zu verteidigen. Amtsrichter Hagen Sendts süffisanter Kommentar: „Kann es sein, daß alle während des Films mehr oder weniger zur Toilette gegangen sind?“

Hauptbelastungszeuge des Prozesses ist ein junger Polizeimeister, der sich damals erst kurz in der Truppe befand. Obwohl der Mann erst an den folgenden Prozeßtagen als Zeuge gehört wird, setzten die Verteidiger bereits gestern alles daran, Christian M. als unglaubwürdigen Spinner darzustellen. Daß das Leben in dem angeklagten „1. Zug der Direktionshundertschaft 6“ auch für Neulinge kein Zuckerschlecken war, schilderte der angeklagte Polizeimeister Carsten R. Er war seinerzeit frisch von der Polizeischule zur Einheit gekommen und hatte den Videofilm gedreht, um sich beim „harten Kern“ seiner Kollegen etwas Respekt zu verschaffen.

Er erzählte, daß der Neuling Christian M. besonders häufig schikaniert worden sei. Ständig hätten die Kollegen dessen Spind auf den Kopf gestellt, den Türgriff mit Tränengas eingesprüht, Sachen aus dem Schrank genommen und aus dem Einsatzanzug eine Puppe gebastelt und an den Tisch des Dienstzimmers gesetzt. Auch sinnlose Wagenwachen und Putzdienste hätten zu den „kleinen Späßchen“ gehört.

Carsten R. berührte ein heikles Thema. Nachdem sich eine junge Polizistin unlängst das Leben genommen hatte, sah sich die Berliner Polizei genötigt, eine Mobbing-Kommission in der 30.000 Mitarbeiter zählenden Behörde einzuführen. „Eine Vertrauensperson hat es nicht gegeben“, sagte der Angeklagte.

Nur am Rande erwähnte Carsten R., daß er mit einem seiner mitangeklagten Kollegen um zehn Mark gewettet hatte, daß er einem festgenommenen Vietnamesen in den Schritt fassen würde. Carsten R. gewann die zehn Mark, behauptete vor Gericht jedoch, nur so getan zu haben, als ob er zufasse. Dieser Vorfall allerdings ist nicht Gegenstand der Anklage, weil das Opfer keine Strafanzeige erstattet hatte.

Der angeklagte Zugführer bestritt jegliche Schikanen gegenüber Neulingen. Das Schränkeumkippen sei eine „rein erzieherische Maßnahme“ gewesen, weil „einige der Jungs“ immer vergessen hätten, die Spinde abzuschließen. Andere Angeklagte räumten einige Schläge gegen Festgenommene ein, sagten aber, sie hätten so den Widerstand der betreffenden Personen brechen müssen.

Der auf fünf Wochen angesetzte Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt.

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