: Gegen Diesner zu spät ermittelt?
■ Beamte sollen im Fall des Neonazis Diesner falsche Spur verfolgt haben. Polizistentod hätte verhindert werden können
Berlin (taz) – Daß die Polizei nach einem versuchten Mord nach allen Seiten ermittelt, gehört zu ihren Aufgaben. Breitgestreute Recherchen allerdings verlangen Zeit. Im Fall des Attentats auf den Berliner Buchhändler Klaus Baltruschat soll sie sich zuviel Zeit gelassen und außerdem in die falsche Richtung ermittelt haben. So hätte der Tod des Polizisten Stefan Grage vier Tage später vermutlich verhindert werden können, behauptet die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie will das Thema am kommenden Montag im Innenausschuß zur Sprache bringen.
Ihre Vorwürfe stützt die PDS auf die Aussage von Alex Curth, dem Berliner Chefermittler. Curth hatte am vergangenen Freitag im Prozeß gegen den Berliner Neonazi Kay Diesner vor dem Landgericht Lübeck ausgesagt. Der Kriminaloberkommissar erklärte, erst nachdem Diesner am 23. Februar den Polizisten Grage erschossen hatte, sei konkret gegen ihn ermittelt worden. Diese Zeugenaussage des Chefermittlers, argumentiert nun die PDS, stehe in krassem Gegensatz zu Äußerungen des Berliner Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky. Dieser hatte vor einigen Wochen in einem Interview gesagt, unmittelbar nach dem Attentat habe die Polizei 500 Neonazis in der Stadt befragt und danach eine Liste mit 27 möglichen Tätern aufgestellt. Dabei habe Diesner auf Platz fünf rangiert.
Offiziell will sich – unter Hinweis auf den laufenden Prozeß – niemand bei der Berliner Polizei zu den Widersprüchen äußern. Inoffiziell heißt es aber, daß am Tag nach dem Attentat, als Klaus Baltruschat vernehmungsfähig gewesen sei, gut 500 Personen befragt worden seien. Drei Tage später, am 22. Februar, habe man den Täterkreis auf 27 Rechtsextremisten eingeengt. Alle hätten in Tatortnähe gewohnt und seien zuvor bereits wegen Gewaltdelikten auffällig geworden. Gegen Kay Diesner habe kein weiterer Tatverdacht bestanden, weswegen man nicht sofort nach ihm gesucht habe. Zudem habe man das Motiv des Attentats – ein Racheakt gegen die PDS wegen einer vorangegangenen Demonstration gegen Neonazis – zunächst bei anderen Mitgliedern aus der rechten Szene vermutet.
Die Polizei habe sich bei ihrer Suche nach dem Attentäter zunächst nicht ausschließlich auf rechtsextremistische Kreise in der Stadt bezogen. Vielmehr habe man auch im nahen Umfeld des Opfers nach einem Täter gesucht. Man habe sich gefragt, weshalb ein politisch motivierter Anschlag dem relativ unbekannten PDS- Buchhändler Klaus Baltruschat habe gelten sollen, wo doch auch PDS-Chef Gregor Gysi im selben Haus sein Büro habe. Annette Rogalla
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