: Loofen und loofen lassen
Tendenz uncool: „Holy Days“ von Thomas Findeiß feat. Dirty Harry & Mr. Cab Driver repräsentiert maximal die (West-)Berliner Old School ■ Von Gunnar Lützow
Der Berliner, so mutmaßt man derzeit von Spiegel extra bis jetzt, produziere schlechte Kunst in billigen Wohnungen, nehme sein „Frühstück“ prinzipiell nachmittags um drei im Szenecafé mit Anführungszeichen zu sich, anstatt das beigelegte Besteck zu nutzen, und sage Dinge wie „et läuft“ – wo es doch in Wirklichkeit so läuft, daß er, wenn schon, denn schon, et eher loofen läßt.
Woher nur haben die Kollegen ihre Vorurteile? Hier gewesen sein können sie schließlich nicht. Aus Büchern vielleicht: Nach dem schrecklichen, vergangenes Jahr im Aufbau-Verlag erschienenen Berlin-Roman „Technophobia“ von Stefan Fester beehrt uns in dieser Saison der aus Naila, Oberfranken stammende Thomas Findeiß endlich mit einem Buch, das die ultimative „Verlorenheit aus dem Berlin der neunziger Jahre“ nun wirklich und ganz in echt transportieren will.
Daß dabei nichts Gescheites herauskommt, läßt schon Findeiß' Biographie erahnen. Reisen in den Vorderen Orient, nach Afrika und in die USA, dann Fabrikarbeiter, Privatchauffeur und Studiomusiker. Obendrein acht Jahre an der DFFB abgehangen, um Schauspieler, Synchronsprecher, Filmmusiker, Regisseur und Drehbuchschreiber zu werden. Mit so einer Vita bleibt, wenn die 40 drohen, wohl nur noch der Traumjob Romancier, der die verlorene Zeit im Rückspiegel als Recherche legitimiert.
Aber die verflixten Achtziger mit all ihren Einstürzenden Neubauten, Müttern und Häuten verfärben selbst im Schonwaschgang die quietschbunten Neunziger in Richtung Berliner Noir, und die simpel gestrickte Welt des Vorabendprogramms entläßt niemanden in die Literatur, ohne ihm gehörig den Sinn fürs Plausible zu vermasseln. Bereits in Zeile zehn liegen wir unter dem Tisch und lachen, bis der Arzt kommt. Der gute Harry – seines Zeichens Journalist – wird nämlich von seinem bonvivanten Kumpel Wellington angerufen, der den lieben langen Tag im Kaffeehaus sitzt und Zeitung liest und mal reinschauen kommt. Schwer erfreut ruft daraufhin Harry in seiner Redaktion an und sagt einen Auftrag ab.
Den freien Journalisten, der sich heutzutage solche Scherze leistet, kennenzulernen, wäre ein großes Vergnügen – denn wo in aller Welt gibt es die 20 Mark pro Zeile abzuholen, die man für so einen Lebenswandel braucht?
Indes macht nicht allein mangelnder Realismus die Lektüre der 301 Seiten so qualvoll – schließlich sind fiktionale Texte nicht unbedingt am Start, um Reporter arbeitslos zu machen. Unerträglich ist eher die Nähe zu einem vulgären Expressionismus, der dann noch einmal im dritten Aufguß die Eisenbahnen von den Brücken fallen läßt: „Die Bäume stürzten in den Himmel, die Masse von Blech und Fleisch wälzte sich, von einer ungeheuren Maschine getrieben, die im Rhythmus der Ampelanlagen Lebendiges und Totes ansaugte, festhielt und wieder ausspie, in einer einzigen zuckenden Bewegung hin auf ein Ziel, das allen sehr nah, dem einzelnen aber vollkommen unerreichbar war.“ Jakob van Hoddis, übernehmen Sie!
Ganz schlimm wird es dann, als sich Harry, Wellington und der morbide Engel Harriett ans Baltische Meer verdrücken – wir mit dem Wochenendticket dürfen auch Ostsee dazu sagen. Denn fieserweise hat irgendwer eine ziemlich lange und recht unüberwindliche Mauer (!) gezogen, die diese drei schwer einsamen Figuren in eine schwer existentialistische Lage treibt. Mensch, die Hölle, das sind doch die anderen – oder nicht? Sie trinken, halluzinieren, kommen sich aus weiter Ferne doch so nah, dazu treibt ein geheimnisvoller Zwerg sein Unwesen, und das wäre auch alles nicht weiter tragisch, litten sie nicht an verbaler Diarrhöe. Jeder Satz ein Aphorismus, eine tiefschürfende, lange erhoffte Erkenntnis, eine Frage, die die Welt erschüttert!
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So machen die desperaten drei und ihr Kumpel Nick, der ausgerechnet als Taxifahrer besonders nah am treibenden Puls jener heftigen Urbanität ist, die sich als Projektion provinzieller Sehnsüchte immer mal wieder in literarische Gestade verläuft, nicht nur Sprache zu der Gewißheit, daß die Menschen nicht mehr miteinander reden. Sie blamieren so als indirekte Repräsentanten dieser Stadt, die alles andere ist als „ein Kabinett voller Vexierspiegel“, auch einen Ort, der so etwas nun wirklich nicht verdient hat. Sind wir denn mit Hertha BSC, Harald Juhnke und den Hausmeistern aus dem Parterre im Vorderhaus nicht schon genug gestraft?
Darüber hinaus soll es übrigens auch welche geben, die später aufstehen und dann wirklich um drei frühstücken gehen, weil sie, wenn es überhaupt läuft, zwecks Geldverdienens öfter mal eine Nacht durcharbeiten müssen – Journalisten zum Beispiel. Aber das dürfte Harry, Nick und die anderen kaum interessieren.
Thomas Findeiß: „Holy Days“. Volk und Welt Verlag, Berlin 1997, 301 Seiten, 36 DM
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