Waigels Wohltat

■ Der Finanzminister hat Kohl in die Enge getrieben

Selten hat jemand soviel Gutes im Sinn gehabt und damit soviel Schaden angerichtet wie Theo Waigel. Ständig das Wohl seines Kanzlers im Kopf, legt er diesem erst eine Kabinettsumbildung nahe, macht dann überdeutlich, daß er selbst auch auf einem anderen Posten einsetzbar ist, und läßt schließlich durchblicken, daß man auf ihn auch verzichten könne. Zu guter Letzt fordert er Helmut Kohl nun auf, im Falle eines Wahlsieges über die ganze Legislaturperiode im Amt zu bleiben.

So viel Fürsorge verlangt danach, in die Schranken gewiesen zu werden. Und die werden sich wohl, wenn sich die CSU nicht querlegt, am Rande der Kappler Alm befinden, wohin Kohl seinen treuen Mitarbeiter am liebsten schicken möchte. Denn so viel Fürsorge läßt den Verdacht aufkeimem, daß der Umsorgte nicht mehr Herr seiner Geschicke ist. Das stimmt zwar, aber um so mehr muß der Kanzler diesem Eindruck entgegentreten. Sein Ungemach ist nur, daß er damit den Ereignissen mal wieder hinterherhinkt, ein Getriebener ist, aber kein Antreiber.

Schon als er im März seine erneute Kandidatur verkündete, wurde Kohl nahegelegt, das Kabinett zu verjüngen, um damit ein Zeichen der Modernität zu setzen. Der Kanzler beließ es jedoch bei der Kontinuität und umgab sich mit seinen alten, wohlbeleibten Männern. Nun wird die Koalitionsarithmetik eine Änderung erzwingen. Doch das läßt eher an Proporz und weniger an Fortschritt denken. Wer sollte den auch verkörpern? Ein Wolfgang Schäuble im Kabinett, das ist das letzte Pfund, mit dem die CDU noch wuchern kann. Soll es sich nicht als Leichtgewicht erweisen, muß er die Sozialdemokraten in den Streitfragen, in denen Waigel gescheitert ist, zu einem Kompromiß bringen. Wenn diese sich weiterhin klug verhalten, gelingt dies nur um den Preis einer weitgehenden Annäherung. Schäubles Bemühen wäre begleitet von dem Geraune um eine Große Koalition. Die einzige Variante des Machterhalts, die so mancher in der Union noch für realistisch erachtet.

Damit wäre klar, warum Kohl Waigels wohlmeinende Ratschläge so überaus verärgert quittiert. Denn mit seinem ersten, der Umbildung des Kabinetts, hätte dieser dafür gesorgt, daß sein vorläufig letzter sich bestimmt nicht realisiert. Kohl wäre keine Legislaturperiode mehr beschieden. Trotz allen guten Willens. Dieter Rulff