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La Paloma in Auschwitz

■ Der Jazzmusiker Coco Schumann spielte mit den Ghetto-Swingers, der Jazz-Band von Theresienstadt. Jetzt hat er sich überreden lassen, seine Geschichte zu erzählen

„Klar bin ick romantisch. Jeder gute Musiker ist das.“ Der kleine, rundliche alte Herr lächelt verschmitzt und dreht die Stereoanlage lauter. Georgia on my mind, Gitarre: Coco Schumann. „Ick sag' ja immer, langsam spielen, Pausen machen, das ist das Schwierigste in der Musik. Nicht wie heute, Tonleitern rauf und runter. Das ist wie viel reden und nichts sagen dabei. Ick bin mehr für Gefühl.“

Coco Schumann hat das Gefühl, und er hat den Swing. Seit den 40er Jahren gilt er als einer der besten Jazz-Gitarristen Deutschlands. An der Wand seines Arbeitszimmers in dem kleinen Reihenhäuschen im Berliner Westen hängen Erinnerungen an ein langes Musikerleben: Coco Schumann mit Big- Band oder Trio, mit Bully Buhlan, dem legendären Mundharmonikaspieler Jean „Toots“ Thielemans und immer wieder mit dem Geiger Helmut Zacharias; als Ulk- Gitarrist in einem Heinz-Erhard- Film, mondän in Weiß auf einem Kreuzfahrtschiff oder ganz mexikanisch mit Sombrero.

Immer charmant, immer ein Profi. 1943 spielte er mit einigen der besten Musiker Europas in einer Band. Die Combo nannte sich Ghetto-Swingers. „Der Name ist natürlich typisch jüdischer schwarzer Humor“, sagt Coco Schumann mit seiner warmen, heiseren Stimme, die keine Bitterkeit verrät. Die Ghetto-Swingers, bei denen er mit gerade einmal 19 Jahren hinter dem Schlagzeug oder an der Gitarre saß, waren die Band des Konzentrationslagers Theresienstadt.

Als der Halbjude Heinz Schumann sich nachts in der Nähe der großen Berliner Jazztempel herumdrückte und sich in diese Musik verliebte, war er 13 Jahre alt, und Jazz galt als Nigger-Musik. Als er mit 16 Jahren in die Swing-Szene kam, englische Anzüge trug und anfing, in den Berliner Jazzkellern zu spielen, war schon Krieg. Den Judenstern trug er in der Tasche statt auf dem Hemd, und über Politik wurde nicht geredet: „Man wußte ja nie, wen man vor sich hatte, konnten ja immer Spitzel sein. Erst später habe ich erfahren, daß ganz viele von den Swings Halbjuden waren wie ich. Und mir ging es immer mehr um die Musik – bis heute.“

Vom „Tiger-Rag“ zu „Rosamunde“

Der Protest gegen das Nazi-Regime war in der Musik, im Lebensstil; man lebte in einer Gegenwelt, von einer langen Nacht zur andern, und wenn die Streife kam, wechselten Coco Schumann und Helmut Zacharias, den er damals kennenlernte, mitten im Takt vom „Tiger Rag“ zu „Rosamunde“. 1943 wurde Coco Schumann dann doch verhaftet. Er hatte weder gewußt, daß einer seiner Cousins, bei dem er einmal im Keller gesessen und Gitarre gespielt hatte, im Widerstand war, noch, daß damals auch ein Spitzel dabeigewesen sein mußte. Coco Schumann wurde nach Theresienstadt deportiert.

„Ich muß wohl so etwas wie einen Schutzengel haben. Und es war die Musik, die mir im KZ das Leben gerettet hat.“ Das sagt Coco Schumann immer wieder – in jedem Interview, in jedem Film, der in den letzten Jahren über ihn gemacht wurde, und in dem Buch „Der Ghetto-Swinger“, das jetzt erscheint.

Für Musiker gab es Sonderrationen, in Theresienstadt, wo die Ghetto-Swingers unter anderem bei dem bekannten Propaganda- Dokumentarfilm über das Vorzeige-KZ des Nazi-Regimes mitmachen mußten, und danach in Auschwitz. Dort mußte Coco Schumann am Tor sitzen und auf Befehl der KZ-Aufseher „La Paloma“ spielen, während die Häftlinge an ihm vorbei in die Gaskammern gingen. Er spielte gut, die Capos mochten ihn – Coco Schumann überlebte. Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft ging Coco Schumann nach Berlin zurück und macht wieder Musik: auch mit Helmut Zacharias. Der war bei der Luftwaffe gewesen. Doch darüber, was ihm im KZ passiert ist, redet Coco Schumann nicht – mit niemandem seiner Musiker-Kollegen. „Ich habe mich geschämt“, erklärt er. „Ich hab' immer gedacht, vielleicht war der da ja ein ganz Anständiger. Und wenn du das jetzt erzählst, dann schämt der sich vielleicht, und da hab' ich mich praktisch für ihn geschämt. Und auf der anderen Seite, wenn er's gemacht hat, dann denkt der vielleicht: Wär der Coco doch mal im KZ geblieben. Das wollt ich auch nicht.“

Sonst kommen die mit der Auschwitz-Lüge

Statt dessen hat er, als die Swing- Welle der 50er langsam abebbte, Helmut Zacharias Karriere machte und Schumann sich mit Unterhaltungsmusik durchschlug, wieder La Paloma gespielt – auf Kreuzfahrtschiffen und bei Mercedes-Benz-Parties. Erst 1986 hat ihn ein Journalist überzeugt: „Wenn du nicht redest, wer dann, sagte der. Und er hatte recht. Sonst kommen die mit ihrer Auschwitz-Lüge, und keiner sagt mehr, wie es wirklich war.“

Seitdem erzählt Coco Schumann von seiner Zeit bei den Ghetto-Swingers. Und für das ZDF hat er sich jetzt sogar wieder in Auschwitz an das Tor gesetzt und „La Paloma“ gespielt. Natürlich ist ihm ein bißchen anders geworden. Aber er kann das, weil er Profi ist: „Ick hab' ja als Musiker immer mit Journalisten zu tun gehabt – und nie 'ne schlechte Kritik gekriegt, übrigens.“

Jetzt hat er doch wieder die Kurve zu seinem Lieblingsthema gekriegt: der Musik. Die Klezmer- Welle, die findet er toll. Das hat Swing. Er selbst übt noch jeden Tag und tritt regelmäßig auf. Obwohl in Berlin, wie er meint, ja längst nicht mehr so viel los ist wie damals. Und diese jungen Hüpfer mit ihrem ewigen Tonleitern... kein Gefühl. Elke Buhr

Coco Schumann: „Der Ghetto- Swinger. Eine Jazzlegende erzählt“. dtv-Premium. München 1997, 234 Seiten, 28 DM

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