: Jung, dumm, eingesperrt
Studie zur Jugendkriminalität in Hamburg veröffentlicht: Wissenschaftler warnt vor Dramatisierung und fordert Ausbildungsplätze ■ Von Elke Spanner
„Überschätzen Sie nicht die Jugendkriminalität!“Christian Pfeiffer erhob warnend den Zeigefinger. „Sie ist von der Polizei nur leichter aufzuklären als bei Erwachsenen. Unter 21jährige sind noch nicht so clever und werden einfach häufiger erwischt.“Notgedrungen trat der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen gestern vor die Öffentlichkeit und präsentierte die Studie „Jugenddelinquenz und jugendstrafrechtliche Praxis in Hamburg“. Ein „Alptraum“sei es, schimpfte der Kriminologe, als Wissenschaftler mitten im Wahlkampf seine Ergebnisse vorstellen zu müssen. Doch dem Senat blieb keine andere Wahl, als Pfeiffer vorzuschicken. Denn Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) war mit dem Vorwurf, er habe die Studie wegen alarmierender Ergebnisse bewußt zurückgehalten, in die Kritik geraten.
Zunächst gab Pfeiffer Entwarnung. Die Gesamtkriminalität in Hamburg sei 1996 auf dem gleichen Niveau gewesen wie 1985. Insgesamt könne von einem Anstieg also nicht die Rede sein. Häufiger würden allerdings Gewaltdelikte wie Raub oder Körperverletzungen verübt, auch durch Jugendliche. Die Zahl der Tatverdächtigen bis 18 Jahre habe um 89,8 Prozent zugenommen, die der unter 21jährigen sich verdoppelt. Opfer seien fast ausschließlich Gleichaltrige: „Das entdramatisiert“, sagte Pfeiffer, „weil sich offensichtlich ältere Menschen schrecklich bedroht fühlen“(siehe auch Bericht S. 2).
Auffällig sei zudem, daß in Hamburg die Zahl der Straftaten, die von DrogenkonsumentInnen begangen wurden, abweichend vom Bundestrend abgenommen habe. Das könne ein Resultat des Methadonprogrammes in Hamburg sein, spekulierte der Kriminologe.
Vergangene Woche waren bereits einzelne Ergebnisse der Studie veröffentlicht worden. Dabei hatte es geheißen, daß um 53 Prozent weniger als in den Vorjahren Haftstrafen für Jugendliche verhängt worden seien. Allerdings seien Jugendliche mehr als doppelt so häufig wie in den Vorjahren in Untersuchungshaft gesteckt worden. Diesen Trend bezeichnete der Kriminologe als „problematisch“. Untersuchungshaft sei keine erzieherische Maßnahme. Als solche werde sie aber eingesetzt, damit werde eine Verurteilung vorweggenommen.
Der renommierte Kriminologe verwehrte sich entschieden gegen die von der CDU angefachte Diskussion, Heranwachsende nicht länger nach dem Jugendstrafrecht, sondern wie Erwachsene zu bestrafen. „Das Jugendstrafrecht ist nicht milder, es eröffnet nur mehr Möglichkeiten“, rief er engagiert. Die müßten aber auch ausgenutzt werden. Pfeiffers Tip: Die Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs, bei dem der Täter mit seinem Opfer zusammentrifft und gemeinsam über Schadensersatz beraten wird, müsse „verzehnfacht werden“.
Nicht zuletzt aber sei die beste Kriminalprävention die Vermittlung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, denn in Hamburg seien doppelt so viele Jugendliche arm wie anderswo in der BRD.
Als „Schlag ins Gesicht all derer, die mit ihren Law-and-Order-Parolen versuchen, im Wahlkampf Beute zu schlagen“, bezeichnete der GAL-Fraktionsvorsitzende Willfried Maier die Ausführungen Pfeiffers. Er sieht die Forderungen seiner Partei nach einer differenzierten Anwendung des Jugendstrafrechts und einer auf die Probleme der jungen Menschen ausgerichteten Sozialpolitik bestätigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen