: "Die Dämme bröckeln"
■ Internet und Datenschutz sind kein Widerspruch, während der Konflikt mit den Sicherheitsbehörden fast zwangsläufig ist, meint der Datenschutzbeauftragte Garstka
Auf der Internationalen Funkausstellung Berlin (IFA) debattierten gestern internationale ExpertInnen über den Datenschutz im Internet. Angesichts der zunehmenden Vernetzung der einzelnen Medien und dem Interesse von Sicherheitsbehörden, die geheime Kommunikation im Internet zu unterbinden, fragen die DatenschützerInnen: „Das Internet – Ende des Datenschutzes?“. Auf Einladung des Berliner Datenschutzbeauftragten Hansjürgen Garstka stritten BürgerrechtlerInnen und ComputerexpertInnen mit Vertretern der Europäischen Kommission wie der Bundesregierung.
taz: „Das Internet – Ende des Datenschutzes?“ haben Sie Ihre Veranstaltung auf der IFA genannt. Gibt es im Hinblick auf die Berücksichtigung des Datenschutzes Anlaß, so pessimistisch zu sein?
Hansjürgen Garstka: Das Fragezeichen ist bewußt gesetzt. Wir sind der Auffassung, daß es Wege gibt, Datenschutzprobleme im Netz zu regeln. Nur wenn die Datenschutzbestimmungen weiter umgangen werden, greifen die Regelungen nicht mehr.
Eine Art, den Datenschutz auszuhebeln, sind Verbote der Verschlüsselungstechniken. In den USA ist die Benutzung kryptographischer Methoden längst stark eingeschränkt. Steht uns das auch bevor?
Die Debatte wird hier auch kommen. Im Augenblick sieht es aber so aus, als würde man einsehen, daß Regulierungsversuche auf Dauer keinen Sinn haben. Dennoch plädieren einzelne Vertreter der Sicherheitsbehörden für ein Verbot der Verschlüsselung im Netz, so wie wir es in Rußland haben, um jede Kommunikation, die über das Netz läuft, mithören zu können. Dabei läuft vieles, was strafbar ist, unverschlüsselt, zum Beispiel beim Rechtsextremismus und der Kinderpornographie.
Sie und Ihre Länderkollegen haben auch in ganz anderer Hinsicht schon vor einem „Ende des Datenschutzes“ gewarnt. Sie beklagen in der jüngsten Vergangenheit verstärkt, daß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurückgedrängt wird.
Richtig. Wir sind im Augenblick in einer Phase, in der man den Datenschutz zunehmend als lästig empfindet, insbesondere im Bereich der Sicherheitsbehörden. Diese fühlen sich in ihren kriminalistischen Vorstellungen durch den Datenschutz eingeschränkt. Stichworte: Großer Lauschangriff, inzwischen auch der „Große Kuckangriff“(neuerdings geforderte Videoüberwachung, die Red.) oder eben auch der Zugang zum Netz. Und die Sicherheitsbehörden versuchen und haben es teilweise geschafft, sich Befugnisse in der Gesetzgebung zu verschaffen, die erheblich weiter gehen, als das, was sie vorher hatten. Das heißt auf der anderen Seite, daß der Datenschutz zurückgedrängt wird. Zum Beispiel im neuen Telekommunikationsgesetz bekommen die Sicherheitsbehörden über den Umweg einer Regulierungsbehörde quasi einen Online-Zugriff auf sämtliche Kundendateien der Telekommunikationsunternehmen. So ist der Betreiber einer Mailbox verpflichtet, eine automatische Datei mit den Kundendaten zu führen, mit Adresse und Telefonnummer, und das den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen. Beim neuen Teledienstdatenschutzgesetz wollten die Sicherheitsbehörden einen ähnlichen Zugang haben, Das würde bedeuten, daß die Polizei einen beliebigen Zugriff auf die Kunden von Tele-Banking hätte. Das wurde verhindert, aber man sieht, wie die Sicherheitsbehörden versuchen, mehr in diese Informationsnetze reinzukommen und als Spinne schon im Netz zu sitzen.
Ist denn dieser Konflikt zwischen Datenschutzbestimmungen und Sicherheitsbehörden ein zwangsläufiger?
Er ist in einer gewissen Weise zwangsläufig. Aber das betrifft alle Institutionen und Prinzipien, die rechtsstaatliche Begrenzungen einführen. Selbstverständlich ist das Verbot der Todesstrafe eine Einschränkung der Sicherheitsbehörden. Alle freiheitsichernden Regelungen schränken die Sicherheitsbehörden ein. So ist es auch mit dem Datenschutz. Deshalb ist es längst nicht so – wie vielfach behauptet und nie belegt –, daß Datenschutz Täterschutz ist, wie es immer in Schlagworten durch die Gegend geistert. Trotzdem wird es genutzt, um mehr Befugnisse zu bekommen. Beispielsweise in der aktuellen Diskussion darum, unter welchen Voraussetzungen Sozialämter Daten an Sicherheitsbehörden herausgeben müssen. In Berlin sind die Behörden per Senatsanweisung gezwungen, künftig Vorsprachtermine von Ausländern zu melden. Wir halten so etwas für schlicht rechtswidrig.
Der Interessenkonflikt existiert schon lange, warum sind dann die Spannungen in den letzten Jahren derart gewachsen?
Die Situation spitzt sich zu, weil die Kriminalität zugenommen hat, auch wenn hier oft übertrieben wird. Dieses Phänomen hat man zum Anlaß einer politischen Sicherheitskampagne gemacht. Die Politik hat sich des Themas angenommen und den Datenschutz als Sündenbock entdeckt. Wir sind eine kleine Behörde mit geringem politischem Einfluß. So drescht man auf uns ein, um mangelnde Erfolge zu begründen. Dabei haben wir aufgezeigt, daß es nicht stimmt, daß die organisierte Kriminalität zugenommen hat. Die Delikte, die dazu gezählt werden, nehmen im Gegenteil sogar ab.
Sie nennen das eine politische Kampagne. Was sollte denn das Motiv einer solchen sein?
In den letzten Jahren wurde – auch in der Presse – die Hatz auf bestimmte Personengruppen in unserer Gesellschaft begonnen: auf Ausländer zum Beispiel. Ununterbrochen wird unterstellt, daß alle Ausländer die Sozialbehörden betrügen. Auf diese Stimmung muß die Politik reagieren – und Sündenböcke finden. Auch zum Beispiel bei den furchtbaren Sexualverbrechen an Kindern soll plötzlich der Datenschutz schuld sein, daß ein Freigänger wieder ein Mädchen umbringt. Dabei besteht gar kein rationaler Zusammenhang.
Zentral geht es also nicht um das Zurückdrängen des Datenschutzes als Errungenschaft der Bürgerrechtsbewegung, sondern der Datenschutz wird zum Sündenbock für die gesellschaftlichen Probleme?
Man muß hier trennen. Die Sicherheitspolitiker starren auf das Phänomen der angeblich zunehmenden Kriminalität und wollen neue Mittel in die Hand, ohne darüber nachzudenken, daß dabei die Rechte der Bürger verkürzt werden. Es gibt aber ganz unabhängig davon eine ganz andere Tendenz: Dabei geht es gar nicht darum, daß wir die Strafverfolgung behindern, sondern es wird darüber geklagt, daß der Datenschutz einen zu hohen Aufwand macht. Die Wahrnehmung der Bürgerrechte wird lästig, sie kostet ja auch Geld. Man versucht alles, was man als nicht unbedingt erforderlich erachtet, abzuschaffen.
Besteht denn die vielfach beschworene Gefahr des „gläsernen Bürgers“?
Mit dem Internet ist er ja fast schon Realität. Mit Hilfe von Suchmaschinen kann man heute schon jede Netzinformation über einzelne Personen zusammentragen – und daraus eine ganze Vita rekonstruieren. Je mehr die elektronischen Medien genutzt werden, desto gläserner wird der Bürger. Die Verschmelzung von PC und Fernsehapparat, wie sie jetzt auf der Funkausstellung präsentiert wird, führt dazu, daß auch Oma auf dem Kanapée im Internet surfen kann. Dem gläsernen Menschen sind wir erheblich näher. Das ist die Netzvariante. Es gibt aber auch Tendenzen, die Dateien der öffentlichen Verwaltungen – also Polizei, Sozialämter, Kraftfahrzeugwesen zum Beispiel – mehr zu vernetzen. Ähnliches Interesse gibt es in der Privatwirtschaft. Bislang verhindern Gesetze diese Datenrasterung. Es gibt jedoch eine Tendenz, diese Gesetze aufzuweichen. Die Dämme, die wir hatten, bröckeln. Interview: Barbara Junge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen