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Mitmischen am Mischpult

Mit dem „Asian Underground“ spielt sich eine neue britisch-indische Generation nach oben. Ein Motor dieser jungen DJ-Bewegung ist der Musiker Talvin Singh  ■ Von Daniel Bax

Der Montagabend ist auch in London eigentlich keine traditionelle Zeit zum Ausgehen. Trotzdem windet sich die Schlange der Wartenden vor dem Blue Note am proletarischen, nun zunehmend schicker werdenden Hoxton Square im East End fast bis ans Ende der Straße. Anokha, Talvin Singhs Montagsclub, ist derzeit der angesagteste Ort der Stadt.

Drinnen drehen verträumte Hippies im Gedränge zu den harten Breakbeats von „State of Bengal“ ihre Pirouetten auf dem Holzdielenboden, und ein Chai-Shop serviert indischen Tee und süßes Gebäck. Eine Etage tiefer, im Basement, mixt – hinter einer Art Moskitonetz versteckt – Talvin Singh himself indische Klänge in seine Jungle-Rhythmen. Stille. Ein langes, mystisches Summen. Eine Stimme spricht vom Sampler: „Die Tabla war ein Soloinstrument, bevor sie als Begleitinstrument bekannt wurde.“ Takatakatak, Takatak – dann füllen wieder hektisch klatschende Drum'n'Bass-Kaskaden den Raum, und Talvin schlägt dazu die Tabla. Vor der DJ-Tribüne schwitzen Clubber in sixtiesbunten Polyesterhemden.

Fast schmucklos ist der Keller, nur über einen Bildschirm flimmern die Anokha-Markenzeichen, der digital verwischte Sanskrit- Schriftzug und das kreisrunde Mod-Symbol in den indischen Nationalfarben. Anokha bedeutet in Urdu soviel wie „einzigartig“ oder „seltsam“. Und ein wenig seltsam ist es schon, zu welchem Höhenflug der hyperaktive Tablatrommler mit der Stoppelfrisur in den letzten Monaten angesetzt hat. Mit seinem Montagsclub, vor allem aber mit der von ihm präsentierten Anokha-Compilation – Untertitel: „Soundz of the Asian Underground“ – hat Talvin Singh nun endgültig jenen DJ-Starstatus erreicht, der ihn in diesem Sommer aus der Enge der Clubs hinaus auf fast alle großen Festivalbühnen Englands trieb. Sein Erfolg hat ein Schlaglicht geworfen auf die blühende angloasiatische Clubszene, auf DJ-Teams wie Joi, Earth Tribe, Black Star Liner.

Insidern ist Talvin Singh durch seine Kollaborationen mit Björk, Sun Ra, Massive Attack und zuletzt Bim Sherman schon lange kein Unbekannter mehr. Durch seine Plattenprojekte, denen er so illustre Namen wie „Calcutta Cyber Caf“ und „Future Sound of India“ gab, avancierte er längst zum Liebling der besseren britischen Musikmagazine. In London geboren, aber mit fünf Jahren nach Nordindien geschickt, um dort das Tablaspiel beim Pandit Laxman Singh zu erlernen, hat er in seinen jungen Jahren schon alles gemacht, was ein erfolgreicher Musiker so macht. Bis auf eine Platte unter eigenem Namen – die soll demnächst erscheinen. Seine Anokha-Partnerin, die gerade erst 18jährige Sängerin Amar, unterschrieb unlängst einen Vertrag beim Plattenmulti Warner. Der sogenannte Asian Underground, soviel steht fest, ist schon längst im kommerziellen Overground angekommen. Da, wo er auch hinwollte.

Doch den Protagonisten geht es um mehr als nur den persönlichen Aufstieg. Es geht ihnen um nichts weniger als die grundsätzliche Neubewertung der jungen, asiatisch-britischen Generation in Großbritannien. Sie wollen weg vom drückenden Klischee des passiven, unterwürfigen Asiaten. Die Nachkommen der Einwanderer vom indischen Subkontinent mußten lange mit dem Makel leben, im Vergleich etwa zu den karibischen Immigranten als generell uncool zu gelten.

Doch dann marschierte Bhangra auf, mit ekstatischem Punjabi-Beat und Kohorten glitzernder Pluderhosen-Hochzeitskapellen. Die britische Medien notierten besorgt, wie ganze Klassen asiatischer Kids die Schule schwänzten, um an den beliebten Ganztags-Raves teilzunehmen. Bhangra war zwar immens erfolgreich, wurde jedoch nie vom britischen Mainstream angenommen. Die Pioniere des neuen Asian Undergrounds hingegen haben eine Sprache gefunden für ihre Lebensrealität, die auch von der weißen Mehrheit verstanden und anerkannt wird. Dafür haben sie sich sehr weit dem derzeit im Trend liegenden Geschmack angepaßt, einem knalligem Drum'n'Bass- Sound oder einem schweren Techno-Dub. Zu einschlägigen Veranstaltungen wie dem donnerstäglichen Outcaste-Club oder den „Sitarfunk“-Nächten im nobel-unterkühlten The End, tanzen sich zu Klängen des indobritischen Earth Tribe-Soundsystems fast ausschließlich weiße Mittelstandsclubber in Techno-Trance.

In einem Land, in dem Pop und Mode mindestens so ernst genommen werden wie Politik, ist die Tanzfläche ein zentrales Terrain beim Ringen um gesellschaftliche Anerkennung. Die Taktik der Asian-Underground-Guerilleros zielt darauf ab, einen Kontrapunkt zur rückwärtsgewandten weißen Britpop-Nostalgie zu setzen. So wollen sie auch weiße Szenegänger „offener für Asiatisches machen“, wie DJ Ritu, eine Veteranin der ersten Stunde, hofft. Tradition plus Technologie: Im Spiel seiner Tablas, mit internem Mikro zu „Tablatronics“ verstärkt, sieht Talvin Singh die „Weiterentwicklung unserer Tradition, deren Wurzeln im Grunde nicht in Patalia, sondern in London liegen“, wie er in der Zeitschrift Dazed and Confused schrieb.

Der Vorstoß ins britische Pop- Bewußtsein dient ihm nicht nur zur Emanzipation, sondern auch der Überwindung eurozentrischer Sichtweisen: „Wenn man in Indien irgendwen auf der Straße fragt, wer Michael Jackson ist, wird er ihn und seine Musik kennen. Aber frag' mal hier, ob die Leute Lata Mangeshkar kennen, und du wirst auf ratlose Gesichter stoßen.“ Weswegen der Anokha-Sampler auch ein Stück des indischen Filmmusikkomponisten A. R. Rahman enthält, der dadurch nun auch im Westen zu Ehren kommt.

Wieviel unentdecktes Potential in den kitschigen Bollywood- Soundtracks schlummert, hat lange vor Talvin Singh schon der medial weit weniger gefeierte Bally Sagoo aus Birmingham entdeckt. Im Plattenladen seines Vaters und im Archiv seines Onkels, der einen Musikverlag namens Oriental Star besaß, wühlte er sich durch zwanzig Jahre indischer Filmmusik, deren Perkussion und opulente Gesänge er mit satten Funk- und Dub-Rhythmen unterlegte. „Bally Sagoo Masala“ taufte er seinen Stil, von dem er in Indien wie in Großbritannien Millionen Platten verkaufte.

Heute moderiert der Musiker, Produzent und Remixer in der Heimat seiner Väter eine eigene Fernsehshow auf MTV India. Mit dem ersten Song in Hindi, der in die britischen Top Twenty aufstieg, hat er sich gleichzeitig einen Sonnenplatz im britischen Pop-Polyversum erarbeitet. Seine Kassetten findet man, anders als den „Asian Underground“, sowohl in den bunten indischen Musik- und Videofilmläden der Einwanderervororte als auch in den großen Megastores der britischen Innenstädte – von den unzähligen Raubkopien seines „Bollywood- Flashback“, die in Indien kursieren, ganz abgesehen. Bally Sagoo hat jene Brücke zwischen Oxford Street, Brick Lane und Bombay geschlagen, die Talvin Singh auf verschlungenen Underground- Pfaden nun untertunnelt.

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