: Bunte Unkultur
■ "Fernseh-Fieber": NDR-Fernsehunterhaltung zwischen 1956 und 1996 - "Die Rück-Show" (So., 13.45 Uhr, 3sat)
Als das Fernsehen Unterhaltung zu senden begann, nahm es zunächst mit dem Vorhandenen vorlieb. Es ging in die Theater, Cabarets und Varietés und filmte das Bühnengeschehen ab. Unterhaltung sollte sein, denn sie gehörte traditionell neben der Information und der Belehrung zum gesetzlich festgeschriebenen Programmauftrag. Desungeachtet wurden die Unterhaltungsabteilungen intern geringgeschätzt. Jahrzehntelang sahen sich die „Tingeltangel“-Redakteure genötigt, ihr Wirken in tiefschürfenden Schriften zu legitimieren. Noch im April dieses Jahres beklagte der ARD-Show-Koordinator Rüdiger Hoffmann im Gespräch mit dem Spiegel: „Der Humor-Produzent gilt bei uns unverändert als flachbrüstiger und aufdringlicher Unterhaltungsfuzzi. Ich habe mein Leben lang im politischen Journalismus verbracht und noch nie soviel Skepsis erlebt wie in meiner neuen Buffo-Rolle. Das Ansehen ist ruiniert.“
Innerhalb des Apparates waren die hohen und die niederen Künste strikt getrennt, im NDR beispielsweise nach „Wort“, „Musik“, „Politik“ und „Unterhaltung“, im ZDF nach „Kultur“ und „Unterhaltung“, was bei Mitarbeitern wie Peter von Zahn schon mal ein gewisses Unbehagen auslösen konnte, so er, etwa mit seiner Sendereihe „Show-Report“, der letzteren zugeschlagen wurde. Denn, so betonte er geflissentlich in einem 1971 publizierten Aufsatz: „Wir fühlen uns in erster Linie als Journalisten und erst sekundär als Gestalter von Unterhaltung.“
Von der Fernsehkritik durften die Unterhaltungsschaffenden keinen kompetenten Widerhall erwarten. „Nach Ansicht der um unser sogenanntes Kulturerbe ernsthaft Bemühten“, befand 1967 der NDR-Redakteur Henri Regnier, „ist Unterhaltung – vor allem in Rundfunk und Fernsehen – eine Art notwendigen Übels. Eine Art Fusel, ohne den die Mehrzahl des Publikums leider nicht auskommt und den sie um so mehr liebt, je schlechter er ist.“ Dies zu ändern, wurden Studien verfaßt mit Titeln wie „Die Unterhaltungssendung als Instrument gesellschaftspolitischer Bewußtseinsbildung“ (Tobias Brocher, 1967). Dort heißt es u.a.: „Quizsendungen sind in sich als Unterhaltung ein Angebot an den Zuschauer, das weit mehr Identifizierungsmöglichkeiten bietet als Artistik, Show und anderes. Sie sind in gewisser Weise realitätsnäher und daher für das zeitgenössische Bewußtsein häufig auch beliebter, da Wissen als ein erstrebenswertes Ideal im Rahmen allgemeiner Bildungschancen gilt. Diese Wirkung als Leitbild für ein gesellschaftspolitisches Bewußtsein ist unbestreitbar, ob es sich nun um die hohen Forderungen von ,Alles oder Nichts‘ oder um die mehr unterhaltsamen, pragmatischen Verzwicktheiten von ,Einer wird gewinnen‘ handelt.“
Der gesellschaftliche Nutzen der Fernsehunterhaltung wurde von psychologischer Warte bündig nachgewiesen, andere Autoren zogen die Philologie heran und verwiesen auf Molière, Dickens und andere kanonisierte Massenunterhalter. Allein, die Gattung blieb verfemt, erst recht, als die Kritik mit der ideologiekritischen Elle zu messen begann. So war, laut Friedrich Knilli, die vom gemeinen Fernsehzuschauer als rasend fortschrittlich empfundene Samstagabendshow „Wünsch Dir was“ „auch barockes Maschinentheater, Wiener Zaubermärchenbühne, wo die Transzendierung von Raum und Zeit, die Entmaterialisierung und Rematerialisierung allerdings als Metaphern der Vergänglichkeit alles Irdischen benutzt werden“. Uff. Kein Wunder, daß der ZDF- Programmdirektor Gerhard Prager resignierte: „Die Hersteller von Unterhaltung haben längst begriffen, daß sich zwischen ihrem Bemühen und ihren Ergebnissen ein unüberwindliches Hindernis auftut, nämlich das kulturhistorische Trauma von der Weihe des Seriösen. Hier denunziert sich deutscher Provinzialismus.“
Die „Rück-Show“ des NDR versammelt Auszüge dessen, was von den Geschmähten zwischen 1956 und 1996 produziert wurde. Autor Dieter Finnern setzte Moderator Paul Kuhn und die Zeitzeugen Bill Ramsey und Bibi Johns in nostalgische Dekors und ließ sie Spontaneität vorgaukeln. Dies indes scheitert schon an seinen holprigen Texten. Ungleich eleganter formulierten einst die Meister der Gebrauchskunst wie Hans Hubberten oder Harald Vock, die vom Sketch über die Moderation bis zum Couplet komplette Shows texteten. Vor der Kamera agierten der Bühne abgeworbene Universaltalente wie Caterina Valente, derweil ein gewisser Udo Jürgens im Chor sang und auch Harald Juhnke schon seinen öligen Charme zu Markte trug.
Zu sehen gibt es viel, jedoch wenig Hintergrundinformationen – etwa darüber, wie die Unterhaltungsmacher schon Anfang der 60er mit den technischen Möglichkeiten des Mediums zu experimentieren begannen. Trickreiche Szenenwechsel, raffinierte Montagen und personalintensive Choreographien verblüfften das Publikum. Wie träge wirken im Vergleich die ebenfalls exemplarisch vertretenen Inszenierungen der 80er, jene pompösen Wunschkonzerte zum Beispiel, die jüngere Zuschauergruppen nur vergraulen konnten. Am Ende wird vorwitzig die nächste „Rück-Show“ für das Jahr 2036 avisiert, und unwillkürlich fragt man sich, welche derzeitige NDR- Sendung dafür wohl zuliefern könnte. Die Liste der möglichen Titel fällt bedauernswert kurz aus. Harald Keller
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