: Eine zweite Leber für Trinker?
Nur wenige Alkoholkranke bekommen in der Bundesrepublik ein neues Organ ■ Von Manfred Kriener
Von den 2,5 Millionen Trinkern in der Bundesrepublik sterben jährlich 40.000 an den Folgen ihrer Sucht. Die alkoholische Leberzirrhose, für die es keine effektive Behandlung gibt, gehört dabei mit jährlich 16.000 Todesfällen zu den häufigsten fatalen Erkrankungen. Eine Studie der Universität Heidelberg zeigt, daß vielen Alkoholkranken mit einer Lebertransplantation geholfen werden könnte. Aber die Auswahl von geeigneten Patienten ist schwierig und umstritten, die Anzahl von Spenderlebern eng begrenzt. Und die Gefahr von Rückfällen in den Alkoholismus ist erheblich.
Sieben Jahre lang haben Ärzte und Psychologen der Uni Heidelberg insgesamt 52 alkoholkranke Patienten mit einer lebensbedrohlichen Zirrhose vor und nach der Lebertransplantation beobachtet. Die Patientengruppe aus 35 Männern und 17 Frauen war zum Zeitpunkt der Organübertragung im Durchschnitt 48 Jahre alt, wobei das Alter von 27 bis 68 Jahren stark variierte. Ohne die Transplantation wären die 52 Patienten „mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb des nächsten Jahres gestorben“, sagt der Heidelberger Gastroenterologe Helmut Seitz.
Die Ergebnisse der Studie sind zunächst erfreulich, die Überlebensraten der Patienten relativ günstig. Fünf Jahre nach dem Eingriff lebten noch 57 Prozent der Organempfänger. Im Vergleich mit Patienten, denen wegen einer Viruserkrankung oder eines Tumors eine Leber transplantiert wurde, schneiden die Patienten mit alkoholischer Zirrhose sogar besser ab. Im besonders kritischen ersten Jahr, wenn das Fremdorgan vom Körper angenommen werden muß, starben 27 Prozent der Patienten, danach ging die jährliche Mortalitätsrate deutlich zurück. Die Dreijahres-Überlebensrate lag bei 68 Prozent.
Trotz der relativ guten Erfolge wird in der Bundesrepublik jährlich nur etwa 100 bis 200 Alkoholkranken mit Leberzirrhose ein Organ verpflanzt. Bei etwa jeder sechsten Lebertransplantation heißt die Diagnose alkoholische Zirrhose. Neben einer längeren Phase von Abstinenz sind ein fester Wohnsitz und eine gute soziale Einbindung die wichtigsten Voraussetzungen. Trinker, die einen verwahrlosten Eindruck machen, haben keine Chance, sich der 190.000 Mark teuren Operation unterziehen zu können. Disziplin, Mitarbeit und die regelmäßige Einnahme von immunsupprimierenden Medikamenten nach der Transplantation werden ihnen nicht zugetraut. Das Rückfallrisiko wird als zu hoch eingeschätzt.
Aus der Heidelberger Gruppe begannen sechs Patienten (12 Prozent) nach der Transplantation wieder zu trinken, 46 blieben trocken. Offenbar bilden die Operation und die lebensbedrohliche Situation für die Patienten ein solch einschneidendes Lebensereignis, daß die meisten diszipliniert bleiben. Wie schon in anderen vergleichbaren Untersuchungen erwies sich die Dauer der Abstinenz vor der Transplantation als wichtiger Indikator für den Erfolg: „Alle sechs Patienten, die ein Alkoholrezidiv hatten, wiesen eine Abstinenzperiode von weniger als sechs Monaten vor der Transplantation auf“, heißt es in der Studie.
Als Konsequenz fordern die Heidelberger Ärzte, daß die Patienten mindestens ein halbes Jahr vor der Organübertragung abstinent sein müssen. Wer erst kurz vorher aufhört zu trinken, hat deutlich schlechtere Karten.
Trotz der Erfolge sieht Forscher Seitz in der Ärzteschaft noch immer „gewisse Berührungsängste“ und Ressentiments gegenüber dieser schwierigen Patientengruppe. Auch von der Gesellschaft kann sie nur wenig Unterstützung erwarten. Bei einer Krankheit, die als selbst verschuldet gilt, finden die Betroffenen kaum Verständnis. Die Behandlungskosten erscheinen vielen unvertretbar hoch.
Zugespitzt wird die Situation bei Lebertransplantationen durch die aufgrund langer Wartelisten bestehende Konkurrrenz. Hier haben Alkoholiker schlechtere Chancen als „normale“ Leberkranke. Einige Ärzte haben in der Vergangenheit Lebertransplantationen bei Trinkern ganz abgelehnt. Der vor wenigen Tagen verstorbene Hannoversche Chirurg Rudolf Pichlmayr hat wiederholt gefordert, daß ausschließlich medizinische Gesichtspunkte bei der Auswahl der Patienten eine Rolle spielen dürften. Auch Alkoholiker hätten Anspruch auf die bestmögliche Behandlung. „Der Arzt hat nicht das Recht, Patienten unterschiedlich je nach deren Mitverursachung der Krankheit zu behandeln.“ Doch die Rate der Transplantationen bei Trinkern steigt nur langsam. Dabei werden neben den „exzellenten Ergebnissen der Transplantation“ (Seitz) die Erfolge bei der sozialen Integration übersehen.
Die Heidelberger Ärzte haben etwa die berufliche Wiedereingliederung eindrucksvoll dokumentiert. Vor der Transplantation war kein einziger Patient in der Lage, seinen Job auszuüben. Die meisten hatten mehrere Klinikaufenthalte hinter sich und waren Frührentner. Ein Jahr nach der Transplantation konnten 29 Patienten, also fast zwei Drittel, ihren alten Beruf wieder ausüben. Mechaniker, Ingenieure, Büroangestellte oder Lehrer kehrten in den Job zurück. Seitz: „Wir sehen alle Berufsgruppen, wir haben Manager aus den Chefetagen großer Konzerne, Richter und Politiker genauso wie Studenten und Hausfrauen.“
Daß Alkoholiker ein hohes Krebsrisiko haben, bewies die Untersuchung der 52 entfernten Lebern. In 12 Fällen wurden Karzinome entdeckt, die zuvor weder durch Ultraschall noch durch Computertomographie feststellbar waren. Die Daten zeigen aber auch, daß diese Karzinome nicht zwangsläufig die Prognose verschlechtern. Von den 12 Patienten mit Krebsbefund leben heute noch 6. Und noch ein Ergebnis der Studie: 3 der 17 Frauen des Patientenkollektivs wurden nach der Transplantation schwanger. Alle drei Kinder kamen gesund zur Welt.
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